Mit einer großen Militärparade hat Russland an den Sieg über Hitler-Deutschland vor 65 Jahren erinnert. Über den Roten Platz in Moskau marschierten mehr als 10.000 Soldaten - so viele wie noch nie. Panzer rollten über den Platz, in der Luft waren Kampfmaschinen in Formationsflügen unterwegs. An der Parade nahmen erstmals auch Nato-Truppen aus Frankreich, Großbritannien, Polen und den USA teil. Der "Tag des Sieges" ist in Russland der wichtigste nationale Feiertag. Schätzungen zu Folge hat Russland während des Zweiten Weltkriegs 27 Millionen Landsleute verloren - so viele wie kein anderer Staat.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Opfer der Alliierten im Kampf gegen Hitler-Deutschland gewürdigt. Die Deutschen würden ihre Befreier nie vergessen. Das hat Merkel am Rande der Feierlichkeiten in Moskau gesagt. In seiner Ansprache sagte der russische Präsident Medwedew, der Weltfrieden sei weiter brüchig. Die Probleme der weltweiten Sicherheit seien aber nur gemeinsam zu lösen.
Danke, Opa!
Als die kleine Katja dem 85-jährigen Sergej Fjodorowitsch schüchtern eine Blume in die Hand drückt und leise «Danke» murmelt, kommen dem Veteranen der Roten Armee die Tränen. Stolz streckt der alte Herr am 65. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland die ordengeschmückte Brust vor. «Ich war in Berlin», sagt er mit glänzenden Augen, als er durch die Gegend um die Moskauer Prachtstraße Twerskaja geht. Sergej Fjodorowitsch gehört zu den letzten Überlebenden des blutigen Ringens. Natürlich hat er heute seine Galauniform angelegt. «Danke, Großvater, für den Sieg», rufen ein paar angetrunkene Jugendliche im Stakkato.
Zeichen der Versöhnung
Auf der Ehrentribüne verfolgt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel neben Russlands Regierungschef Wladimir Putin das Defilee. Die Einladung gilt als Zeichen der Versöhnung. Schweres Kriegsgerät rollt am Kreml vorbei. Zum Abschluss spielen die internationalen Musikkorps die Ode «An die Freude» von Ludwig van Beethoven.
Als schließlich mehr als 120 Bomber und Jagdflugzeuge im Tiefflug durch den strahlend blauen Himmel über der Hauptstadt düsen, strömen hunderte Menschen aus Cafés und Kneipen rund um die Prachtstraße Twerskaja. Mit lauten «Hurra»-Rufen wollen Jung und Alt die Flugzeuge übertönen. Fotohandys und Kameras werden hochgestreckt.
Volksfest
In Moskau herrscht am Siegestag Stimmung wie auf einem Volksfest. Die Einwohner genießen bei hochsommerlichen Temperaturen um 27 Grad das ungewohnte Gefühl, einmal über autofreie Straßen zu flanieren. Schon bald sind die ersten Kioske trocken gelegt. Mitarbeiter karren neue Bier- und Wasserpaletten heran.
Viele Menschen haben sich das schwarz-orange gestreifte Sankt-Georgs-Band ans Revers gesteckt, das Symbol militärischer Tapferkeit. Den dutzenden Straßenhändlern werden die russischen Fahnen fast aus der Hand gerissen. Der Renner ist das khakifarbene Käppi der Roten Armee mit Sowjetstern. Ein Mittvierziger posiert stolz mit einem Pappbecher voll Wodka neben seinem Lada am Straßenrand. «Nach Berlin», hat er mit Paketpapier auf die Rückscheibe geklebt.
Der siebenjährige Kostja hat sich keck eine Offiziersmütze auf das blonde Haupt gesetzt. «Ich will die Panzer sehen», ruft er, als er Hand in Hand mit seinen Eltern durch die Straßen schlendert. Doch die meisten Moskauer können kaum einen Blick auf die gewaltige Parade werfen. Zehntausende Sicherheitskräfte sperren die Strecke ab, an den Kreuzungen behindern Lastwagen die Sicht. Zutritt zum Roten Platz haben nur Ehrengäste, darunter 3000 Veteranen. 65 Jahre nach dem Großen Vaterländischen Krieg ist es für viele hochbetagte Kämpfer vermutlich die letzte große Siegesfeier.
Stalin?
Nahe der Twerskaja-Straße haben sich ein paar Dutzend Anhänger der Kommunistischen Partei versammelt, vor allem ältere Frauen und Männer. Auf ihren Fahnen prangen die alten Sowjetsymbole Hammer und Sichel. Langsam setzt sich ihr Zug in Bewegung. Voran fährt ein Lautsprecherwagen, gespielt werden melancholische Lieder aus dem Krieg. Ein Mann hat ein T-Shirt mit dem Konterfei von Sowjetdiktator Josef Stalin angezogen. «Für die Heimat», steht darauf.
Im Vorfeld des Jahrestages kochten die Diskussionen um Stalin so stark hoch wie lange nicht. Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow gab erst in letzter Minute sein Vorhaben auf, Plakate Stalins aufhängen zu lassen, den Historiker für den Tod von Abermillionen Menschen verantwortlich machen. Nach langem Schweigen sprach sich Kremlchef Dmitri Medwedew deutlich gegen Bilder des Diktators aus. Im sibirischen Jakutsk errichteten die Kommunisten am Vorabend des Siegestages dennoch eine Stalin-Büste.
Benedikt von Imhoff (dpa) - Bild: epa