Heute Abend kommen die Staats- und Regierungschefs der Eurozone zu einem Sondergipfel zusammen. Zunächst soll das Hilfspaket für Griechenland endgültig auf den Weg gebracht werden. Darüber hinaus wollen die Eurostaaten aber auch die ersten Lehren aus der griechischen Schuldenkrise ziehen.
Ob all das reicht, um die Märkte endlich wieder zu beruhigen, ist inzwischen mehr als fraglich. Das Vertrauen in den Euro ist zerrüttet. Am Nachmittag traten die Börsen weltweit eine fast schon beispiellose Talfahrt an. Und daran sind nicht allein Griechenland und die anderen Defizitsünder schuld ...
War es das wert? Waren eine Regionalwahl in Nordrhein-Westfalen und einige reißerische Schlagzeilen wichtig genug, um ein Jahrhundertprojekt aufs Spiel zu setzen? Es sind die Irrungen und Wirrungen der deutschen Bundesregierung, die den Euro dahin gebracht haben, wo er jetzt ist: an den Abgrund.
"Die Griechen wollen unser Geld", titelte ein berühmt berüchtigtes Revolverblatt. "Dumm gelaufen, aber so ist das nun mal", wäre man geneigt zu antworten. Denn was eigentlich einleuchtend ist, scheint man insbesondere in Deutschland vor einer Regionalwahl nicht sagen zu dürfen: Wer eine gemeinsame Währung hat, der teilt ein gemeinsames Schicksal, dann sitzen alle – um eine zugegenermaßen abgedroschene Floskel zu bemühen - in einem Boot. Deutschland wollte demgegenüber – wohl auch im Bewusstsein vermeintlicher eigener Größe - partout nicht einsehen, dass der Grieche 2001 in gewisser Weise zum Deutschen geworden ist.
Klar: Grund allen Übels ist zweifelsohne in erster Linie Griechenland. Darüber muss nicht diskutiert werden. Abenteuerliche Steuerzahlermentalität, getürkte Statistiken, grassierende Korruption: all das ist bekannt und wurde schon x-Mal angeprangert – zu Recht, wohlgemerkt.
Jetzt ständig oberlehrerhaft den drohenden Zeigefinger Richtung Athen zu wenden, über einen Ausschluss der Griechen aus der Eurozone nachzudenken, Foltermethoden für den Bankrotteur von der Ägäis auszubaldowern, all das ist jedoch nicht nur billig, weil es letztlich das Problem nicht löst. Vielmehr zeigt das derzeitige Gejammer und Gerangel nur noch einmal, dass so mancher die Essenz einer gemeinsamen Währung immer noch nicht verstanden hat.
Eine gemeinsame Währung ohne den dazugehörigen Unterbau kann auf Dauer nicht funktionieren. Genau davor haben namhafte Ökonomen von Anfang an gewarnt. So lange alles gut ging, wurden die diversen Kassandras scheinbar Lügen gestraft. In den letzten Wochen ist aber schmerzlich klar geworden, dass der Euro eigentlich immer noch eine viel zu leere Hülle ist, dass jenes Jahrhundertprojekt von inzwischen 16 mutigen Staaten Europas weiter im luftleeren Raum baumelt. Man hat zwar eine gemeinsame Währung, jeder kocht aber im Wesentlichen immer noch sein eigenes Süppchen. Ohne eine halbwegs gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik geht es nicht. Vor allem große Länder wie Deutschland oder Frankreich haben aber immer nur freudig "A", aber nie "B" gesagt.
Bestes Beispiel: die Forderung nach verschärften Kontrollen. Dass das Griechenland-Problem am Ende zum Fass ohne Boden geworden ist, hat bekanntlich auch damit zu tun, dass Brüssel Athen nie wirklich auf die Finger geschaut hat. Das allerdings nicht, weil Kommission oder Eurostat das nicht wollten, sondern weil sie es nicht konnten. Deutschland und Frankreich, die zwischenzeitlich selbst am Schuldenpranger standen, haben sich nämlich immer dagegen verwahrt, dass Brüssel den Staaten in die Karten schauen darf. Das eigentlich erschreckende ist, dass insbesondere Berlin bei allem Gezeter über Griechenland auch jetzt noch bei dieser Haltung bleibt: Auch künftig sollen die Euroländer ihre Haushaltspläne im stillen Kämmerlein alleine aushecken dürfen.
Die Euroländer haben also mit den nationalen Währungen nur vordergründig eine Ur-Prärogative des Staates abgegeben. In entscheidenden Punkten sitzen sie weiter wie eine hochmütige Glucke auf ihrer Souveränität.
Und dann ist es nur noch ein kleiner Schritt: Wer schon in dem Irrglauben lebt, immer noch in erster Linie für sich selbst verantwortlich zu sein, der tut sich auch mit Solidarität schwer.
Zögern und zaudern, das ist jedenfalls Gift für die Märkte. Weil vor allem Angela Merkel - ob nun wegen NRW oder den unschönen Balkenüberschriften - mit beiden Füßen auf der Bremse stand, hat die Eurozone in den letzten Monaten einen Zick-Zack-Kurs hingelegt und damit Zweifel gesät. Diese Saat geht jetzt auf. Und der Effekt ist verheerend. Wenn man schon Griechenland nur zögerlich hilft, was wäre denn, wenn mal ein wirklich großes Land abschmiert? Diese Frage reicht aus, um an den Märkten eine Spirale in Gang zu setzen, die niemand mehr stoppen kann.
Jeder der glaubt, dass es uns ohne den Euro besser ginge, oder sich zumindest nicht viel ändern würde, der täuscht sich gewaltig. Man darf gar nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn etwa Belgien in dem Moment, wo seine zwei wichtigsten Banken abschmierten, nicht unter dem Schutz des Euro gestanden hätte. Und dieses Beispiel kann man getrost auf alle Euroländer ausweiten, auch auf vermeintlich Große.
Klar muss man die Lehren aus dem Griechenland-Debakel ziehen. Klar müssen alle Staaten zur Haushaltsdisziplin zurückkehren. Was man insbesondere Deutschland vorwerfen muss: Es macht keinen Sinn, über einen Elfmeter zu streiten, wenn das Stadion einstürzt.