Es war kurz vor 7 Uhr am Freitagmorgen, als der Thalys Amsterdam-Paris bei seinem Halt in Rotterdam geräumt wurde. Der Grund: Passagiere hatten beobachtet, wie ein Mann in letzter Sekunde in den Zug sprang und sich auf der Bordtoilette einsperrte. Sie alarmierten umgehend die Polizei. Die ließ den Zug wenige Augenblicke später räumen.
"Ich dachte zunächst, es handelt sich um eine gewöhnliche Polizeikontrolle und wir müssen deshalb den Zug verlassen", erklärte eine Thalys-Reisende im niederländischen Rundfunk NOS. "Doch dann sagten mir Fahrgäste aus Wagen Nummer 17, dass ihnen ein Verdächtiger aufgefallen sei. Möglicherweise handelt es sich aber nur um einen Verwirrten", fügte die Frau hinzu.
Die Rotterdamer Polizei schickte ein Sondereinsatzkommando in den Zug und versuchte, mit dem Verdächtigen Kontakt aufzunehmen. Allerdings vergeblich. Als der Mann auch nach knapp drei Stunden nicht reagierte, öffneten die Beamten die Zugtoilette. Der Mann leistete keinen Widerstand und wurde sofort überwältigt.
"Zu den Motiven haben wir noch keinerlei Anhaltspunkte", sagte Polizeisprecherin Patricia Wessels. Die Ermittler wollten wissen, warum er im letzten Augenblick in den Zug gesprungen war und sich auf der Bordtoilette eingeschlossen hatte.
Auf Fernsehbildern war der Verdächtige bei der Festnahme kurz zu sehen. Möglicherweise handelt es sich um einen Minderjährigen. Während die Beamten ihm Handschellen anlegen wollten, schien der junge Mann einen Schwächeanfall zu erleiden. Deswegen wurde er zunächst ins Krankenhaus gebracht, soll aber im Tagesverlauf verhört werden.
Bislang geht die Polizei davon aus, dass der Mann unbewaffnet war. Weil er aber einen Rucksack bei sich hatte, nahmen Experten des niederländischen Kampfmitteräumdienstes den Zug gründlich unter die Lupe. Solange die Ermittlungen noch laufen, bleibt auch der Rotterdamer Hauptbahnhof gesperrt. "Mit spürbaren Folgen für den Bahnverkehr", erklärte Corien Koestier, die Sprecherin der niederländischen Bahn. Derzeit sei kein Zugverkehr von und nach Rotterdam-Centraal möglich.
Großalarm auch in Antwerpen
Knapp 100 Kilometer südlich, in Antwerpen, herrscht seit dem späten Vormittag ebenfalls Großalarm. Wegen eines verdächtigen Gepäckstücks im IC-Zug Amsterdam-Brüssel, dem sogenannten Benelux-Zug, wurden große Teile des Hauptbahnhofs geräumt worden. Der Kampfmittelräumdienst der Armee inzwischen in Antwerpen eingetroffen.
Die Behörden gehen jedenfalls auf Nummer sicher - verständlicherweise, wenn man sich an den blutigen Vorfall im Thalys zwischen Brüssel und Paris vor knapp einem Monat erinnert. Vielleicht wird sich am Ende aber herausstellen, dass ein Schwarzfahrer und ein unaufmerksamer Fahrgast, der seinen Koffer vergessen hat, ganz schön viel Panik ausgelöst haben.
Alain Kniebs - Bild: Jerry Lampen (afp)