Der weit links stehende Labour-Abgeordnete Jeremy Corbyn ist der neue Vorsitzende der britischen Sozialdemokraten. Er erhielt bereits in der ersten Runde fast 60 Prozent der Stimmen, wie die Partei am Samstag in London mitteilte. Der 66-Jährige ist seit 1983 Abgeordneter im britischen Unterhaus.
Vier Kandidaten waren im Rennen um die Nachfolge von Ed Miliband, der nach der verlorenen Parlamentswahl im Mai zurückgetreten war. Rund 554.000 Labour- und Gewerkschaftsmitglieder sowie erstmals auch registrierte Unterstützer der Partei waren stimmberechtigt. Zum Vize-Parteichef wählten sie den Abgeordneten Tom Watson.
Der als linker Parteirebell bekannte Corbyn galt zunächst als chancenlos, überzeugte in der vergangenen Wochen aber vor allem junge Wähler von sich und avancierte zum Favoriten. Er fordert ein Ende des Sparkurses der Regierung, höhere Steuern für Reiche und die Abschaffung der britischen Atomwaffen. Corbyn hat viele Gegner in seiner Partei, die ihn für rückwärtsgewandt und ungeeignet als Premierminister halten.
Von der Hinterbank an die Labour-Spitze
Der neue Labour-Chef Jeremy Corbyn wird von seinen Anhängern als Heilsbringer gefeiert. In seiner eigenen Partei halten ihn aber viele - darunter Ex-Premierminister Tony Blair - für den Labour-Totengräber. Der 66-jährige Engländer, schmal und bärtig, gehört seit Jahrzehnten zum linken Rand der britischen Sozialdemokraten.
In seinen 32 Jahren im britischen Unterhaus blieb Corbyn stets Hinterbänkler. Er erarbeitet sich schnell einen Ruf als notorischer Rebell. Mehr als 500 Mal soll der Sohn eines Ingenieurs und einer Mathematiklehrerin gegen die Parteilinie gestimmt haben. Unter anderem war er ein erbitterter Gegner des Irakkriegs und des von Tony Blair vertretenen wirtschaftsfreundlichen New-Labour-Kurses.
Der Abgeordnete des Londoner Wahlkreises Islington Nord will unter anderem die Bahn wieder verstaatlichen, den Sparkurs beenden, Reiche höher besteuern und die britischen Atomwaffen abschaffen. In der Kritik stand und steht er für seine Haltung zur radikalislamischen Hamas und zur Schiitenmiliz Hisbollah, die er öffentlich als "Freunde" bezeichnet hat. Davon hat er sich inzwischen distanziert.
Mit seinen pastellfarbenen Hemden und beigen Jacketts wirkt Corbyn wie ein Sozialkundelehrer. Er gilt als aufrichtig und direkt - die Eigenschaft, die seine Anhänger am meisten bewundern. Zu seinen Wahlkampfauftritten kamen Tausende, es war die Rede von einer "Corbynmania".
dpa/est - Bild: Ben Stansall (afp)