Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras hat am Vormittag vor dem EU-Parlament in Straßburg gesprochen. Er erklärte, die Griechenlandkrise sei die Folge einer misslungenen Rettungspolitik. Die Stimmung unter den Abgeordneten war merklich gereizt. Tsipras wurde mit Applaus und Buh-Rufen empfangen. Zustimmung fand er vor allem bei den extremen linken und extremen rechten EU-Abgeordneten. Die christdemokratische Fraktion nannte Tsipras einen Lügner. Der Vorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt, beklagte, dass Tsipras bislang keine Reformanstrengungen zeige.
Der Eurorettungsschirm ESM hat unterdessen den neuen Hilfsantrag aus Griechenland für frische Rettungshilfen erhalten. Die Eurogruppe wird entgegen erster Erwartung nicht schon am Mittwoch in einer Telefonkonferenz über den neuen griechischen Hilfsantrag sprechen. Das teilte der Sprecher von Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem mit. Geplant seien hingegen Beratungen der Finanzstaatssekretäre der 19 Eurostaaten.
Der permanente Euro-Rettungsschirm ESM kann gegen strenge Auflagen seit Oktober 2012 Finanzhilfen an Euro-Länder gewähren. Ziel eines neuen Hilfsprogramms müsse sein, die Belastungen für die Bevölkerung gerechter zu verteilen, sagte Tsipras.
EZB erhöht Druck auf Athen: Notenhilfen könnten schon bald enden
Die Europäische Zentralbank erhöht währenddessen massiv den Druck auf die griechische Regierung. Sollte es keine Perspektive für eine Einigung im Schuldenstreit mit den Gläubigern geben, müsste die EZB die Nothilfen für die griechischen Banken unverzüglich beenden. Davor warnte der französische Notenbankchef Christian Noyer am Mittwoch im französischen Radiosender Europe 1.
Noyer, der Mitglied des EZB-Rates ist, sagte, die Zentralbank habe die Nothilfen bereits bis zum Maximum ausgelegt. Die EZB könne keine unbegrenzten Risiken eingehen. Die jüngste Verzögerung im Verhandlungsprozess müsse die letzte sein, verlangte Noyer.
Die griechischen Banken sind seit Montag voriger Woche geschlossen. Der Kapitalverkehr im Land wird kontrolliert. Geldabhebungen sind drastisch beschränkt. Das führt zu erheblichen Einschränkungen in der Wirtschaft, zum Beispiel im Transportwesen.
Transport und Verkehr brechen in Griechenland zusammen
Die Kapitalverkehrskontrollen in Griechenland führen zunehmend zum Zusammenbruch des Transportwesens. Die Transportunternehmen können ihre Lastwagen nicht betanken, weil die Besitzer täglich nur 60 Euro aus ihren Konten abheben können. Hunderte griechische Lastwagenfahrer im In- und Ausland haben keine Möglichkeit die Treibstoffe zu bezahlen. "Ein Lastwagenfahrer braucht 4.000 Euro um aus Deutschland nach Griechenland zu kommen", sagte Petros Skoulikidis, Präsident der Transportunternehmen Griechenlands (PSXEM) im griechischen Fernsehen.
Die griechischen Kreditkarten werden im Ausland nicht mehr akzeptiert. Auch im Inland gebe es große Probleme. Lieferungen auf die Inseln sind nur gegen Barzahlung möglich. Auf den Inseln könne es bald zu Versorgungsengpässen kommen, sagten übereinstimmend Bürgermeister im griechischen Fernsehen.
Athen leiht sich kurzfristig rund 1,6 Milliarden Euro
Unterdessen ist es dem schuldengeplagten Griechenland gelungen, sich kurzfristig frisches Geld am Kapitalmarkt zu besorgen. Wie der griechische Rundfunk unter Berufung auf die Schuldenagentur PDMA am Mittwoch berichtete, konnten insgesamt 1,625 Milliarden Euro für 26 Wochen in Form kurzlaufender Staatspapiere aufgenommen werden. Die Rendite der versteigerten Papiere lag - wie bei einer vergleichbaren Auktion im Vormonat - bei 2,97 Prozent.
Athen hat sich das Geld geliehen, weil es am 10. Juli zwei Milliarden Euro Schulden refinanzieren muss. In der griechischen Finanzpresse wird damit gerechnet, dass das restliche Geld an diesem Donnerstag in die Staatskasse fließt. Denn dann dürfte Athen wie üblich im Rahmen eines gesonderten Verfahrens zusätzliche Wertpapiere versteigern.
dpa/vrt/cd/okr - Bild: Aris Messinis (afp)