"Wir können nicht nach jeder Tragödie erklären "nie wieder", aber anschließend nicht handeln": Bei ihrer Ankunft in Luxemburg hat die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Vormittag den Druck erhöht und mehr Schutz für Flüchtlinge gefordert, die über das Mittelmeer kommen.
Mogherini sieht Europa moralisch in der Pflicht. Sie erinnerte daran, dass die EU auf Werte wie Menschenrechte, die menschliche Würde und den Schutz des Lebens aufgebaut worden sei. Es müssten sofort Maßnahmen beschlossen werden, um weitere Tragödien zu verhindern.
Um 10 Uhr sind die EU-Außenminister in Luxemburg zusammengekommen, um über die europäische Flüchtlingspolitik zu beraten. Auch der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, übte scharfe Kritik an den 28 Mitgliedsstaaten: "Nichts bewegt sich. Und das liegt nicht an der EU, sondern am Unwillen der Hauptstädte", sagte Schulz.
Wie so oft wird auch jetzt wieder der Ruf nach einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik in Europa laut. Die Wieder-Einrichtung eines Seenot-Rettungsdienstes ist zum Beispiel im Gespräch. Dies ist aber umstritten. Befürchtet wird, dass noch mehr Menschen ermutigt werden könnten, sich illegal auf den Seeweg nach Europa zu begeben.
Niemand übernimmt Verantwortung
Die Mitgliedsstaaten und EU schieben sich seit Jahren die Verantwortung für das Scheitern gegenseitig zu. Weil die Diskussionen über eine europäische Einwanderungspolitik noch lange andauern könnten, forderte Außenminister Didier Reynders rasche Abhilfe. Die "Todesfahrten" auf dem Mittelmeer müssten verhindert werden. Außerdem müsse man den Schleppern das Handwerk legen und die EU-Grenzbehörde Frontex mit mehr Mittel zur Seenotrettung ausstatten.
"Die Menschenhändler nutzen das Leid und die Verzweiflung der Flüchtlinge aus und verfrachten sie auf Boote, die meist nicht seetauglich sind." Die Folge: Die teure Überfahrt über das Mittelmeer wird für viele zur Todesfalle. Außerdem muss man an die Ursachen der Flüchtlingskatastrophen heran, sagte Reynders. Das bedeutet, dass man Staaten wie Libyen stabilisiert, damit die Menschen das Land erst gar nicht verlassen müssten. Viele der Flüchtlingsboote starten ja im Krisenland Libyen und wagen die gefährliche Überfahrt nach Malta oder Italien, wusste auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz forderte, dass die EU in den nordafrikanischen Staaten Auffanglager baut. Für Kritiker allerdings ein Vorschlag, der die Flüchtlingsproblematik bloß nach Afrika verlagert. Die Grünen fordern deshalb seit Jahren legale Einreisemöglichkeiten nach Europa, wie etwa Barbara Lochbihler, die stellvertretende Vorsitzende des Menschenrechtsauschusses im Europaparlament.
Renzi fordert EU-Sondergipfel
Italiens Premierminister Matteo Renzi hat einen EU-Sondergipfel gefordert. Renzi trifft sich am Montag mit Maltas Regierungschef Muscat in Rom, um Konsequenzen aus dem Flüchtlingsdrama zu besprechen. Ratspräsident Donald Tusk prüft derweil die Anfrage Renzis – möglicherweise kommen die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag oder Freitag in Brüssel zusammen. Auch Premierminister Charles Michel befürwortet eine Dringlichkeitssitzung der europäischen Staats- und Regierungschefs.
Zunächst beraten aber die Innen- und Außenminister in Luxemburg. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini forderte konkrete Lösungen, trotz der schwierigen Fragen. Es gehe darum, uns als Europäer unsere gemeinsamen Verantwortung bewusst zu werden. Natürlich gebe es keine Wunderlösungen, aber Europa müsse jetzt gemeinsam handeln, sagte Mogherini.
Opferzahl vermutlich höher
Die Zahl der Opfer bei dem erneuten Schiffsunglück im Mittelmeer liegt vermutlich noch viel höher als bisher vermutet. Wie die Staatsanwaltschaft von Catania auf Sizilien mitteilte, sprach ein Überlebender von 950 Menschen an Bord des Kutters, der zwischen Libyen und Malta gekentert war. Viele von ihnen seien im Laderaum eingesperrt gewesen. Bisher gingen die Behörden von mindestens 700 Opfern aus.
Bislang konnten 24 Leichen geborgen werden. 28 Menschen überlebten das Unglück. Sie wurden vor einer Stunde von der italienischen Küstenwache an den Hafen von Valetta auf Malta gebracht. Von dort werden sie weiter nach Sizilien transportiert.
vrt/dpa/jp/ak - Bild: Andrej Isakovic (afp)
Zunächst wird wieder Betroffenheit geheuchelt und dann Realitätsverweigerung betrieben. Es gibt nicht viele Möglichkeiten. Die EU-Außengrenzen werden für alle Menschen geöffnet. Aber was dann? Oder die Möglichkeit auf Aufnahme in Europa wird drastisch gesenkt. Es muß sich dann weltweit herumsprechen, daß Europa keine Flüchtlinge mehr aufnimmt.
In Italien sagte Daniela Santanché, eine enge Vertraute von Silvio Berlusconi: „Die einzige Lösung besteht darin, dass Luftwaffe und Marine unverzüglich ausrücken und alle Boote versenken, die an der libyschen Küste zum Auslaufen bereitstehen.“ Praktikabel? Zumindest würden dann keine Menschen mehr ertrinken.