Trauer um Günter Grass: Der deutsche Literaturnobelpreisträger, einer der weltweit bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart, ist am Montag im Alter von 87 Jahren in einem Lübecker Krankenhaus im Kreise seiner Familie gestorben. Der weltberühmte Autor des in etwa 55 Sprachen übersetzten Romans "Die Blechtrommel" sei den Folgen einer schweren Infektion erlegen, teilte sein Sekretariat mit.
Politik und Kultur würdigten Grass als literarische Instanz und zugleich als streitbaren politischen Mahner. "Günter Grass war ein Weltliterat. Sein literarisches Vermächtnis wird neben dem von Goethe stehen", sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) über den gebürtigen Danziger und Ehrenbürger der heute polnischen Stadt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, Grass habe die Nachkriegsgeschichte Deutschlands mit seinem künstlerischen sowie seinem gesellschaftlichen und politischen Engagement wie nur wenige begleitet und geprägt: "Mit dem Tod von Günter Grass verliert die Bundesrepublik Deutschland einen Künstler, von dem ich mit tiefem Respekt Abschied nehme."
Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Grass als großen Autor und streitbaren politischen Geist: "In seinen Romanen, Erzählungen und in seiner Lyrik finden sich die großen Hoffnungen und Irrtümer, die Ängste und Sehnsüchte ganzer Generationen." Grass sei zeitlebens ein eigenwilliger politischer Geist gewesen, der Kritik nicht fürchtete und Debatten über Jahrzehnte wesentlich beeinflusst habe.
Grass hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg früh für die Aussöhnung mit Polen eingesetzt und Anfang der 1970er Jahre die Ostpolitik des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) unterstützt. Grass repräsentierte für mehrere Generationen polnischer Leser das "bessere" Deutschland. Die Todesnachricht löste Betroffenheit aus.
Kritisches Nachrufe gab es dagegen aus Israel. Grass hatte die Politik der Regierung und die atomare Bewaffnung des Landes kritisiert, zuletzt in dem 2012 erschienenen Gedicht "Was gesagt werden muss". Der Verband hebräischsprachiger Schriftsteller hielt Grass eine politische "Delegitimierungskampagne" gegen Israel vor: "Bis zu seinem Tod hat Günter Grass keine Reue über seine harten anti-israelischen Äußerungen gezeigt."
"Höhepunkt des 20. Jahrhunderts"
Grass war der weltweit wohl bekannteste deutsche Schriftsteller der Gegenwart. Gleich sein erster, 1959 erschienener Roman "Die Blechtrommel" geriet zum Welterfolg. 40 Jahre später wurde Grass für sein Gesamtwerk mit dem Literaturnobelpreis geehrt. Das Nobelpreis-Komitee lobte die "Die Blechtrommel" als die "Wiedergeburt des deutschen Romans im 20. Jahrhundert".
Grass galt der Schwedischen Akademie nach Angaben des Jurors Per Wastberg als "der Höhepunkt des 20. Jahrhunderts"."Die Entscheidung damals (1999) war eine ganz bewusste", sagte er am Montag in Paris. "Wir in der Schwedischen Akademie sahen ihn als den Höhepunkt des 20. Jahrhunderts. Er war das 20. Jahrhundert, mindestens nach Thomas Mann".
"Die Blechtrommel ist ein Meilenstein in der europäischen Literatur. Seit 1960 war er mit seiner großartigen Vorstellungskraft der dominierende europäische Autor", sagte Wastberg. Grass spätes Eingeständnis seiner SS-Zugehörigkeit im Jahre 2006 in der Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" wollte der Juror nicht nur negativ bewertet wissen. "Das muss unterschiedlich beurteilt werden, aber er war sehr aufrichtig, selbst wenn es sehr spät kam."
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nannte Grass einen Wegbegleiter, engen Freund und Ratgeber der deutschen Sozialdemokratie. "Mit ihm verlieren wir einen der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsgeschichte und einen engagierten Autor und Kämpfer für Demokratie und Frieden."
Für den Intendanten des Hamburger Thalia Theaters, Joachim Lux, ist der Tod von Grass, nur wenige Monate nach dem von Siegfried Lenz ("Deutschstunde"), ein tiefer Einschnitt. "Mit dem Tod von Siegfried Lenz und Günter Grass innerhalb kurzer Zeit geht eine ganze Epoche endgültig zu Ende - literarisch und auch politisch", sagte Lux . Grass' letzter Auftritt war bei der Premiere der "Blechtrommel" am 28. März im Thalia, als er sich mit dem Ensemble den Schlussapplaus abholte.
Nach Tod von Grass: ARD zeigt "Blechtrommel" um 20.15 Uhr
Nach dem Tod von Günter Grass haben Fernsehsender Programmänderungen für den Montagabend (13.4.) angekündigt. Das Erste zeigt um 20:15 Uhr die Verfilmung von Grass' Roman "Die Blechtrommel" - und zwar in der Fassung des sogenannten Director's Cut von 2010. In dem Werk von Völker Schlöndorff sind Schauspieler wie David Bennent, Angela Winkler und Mario Adorf zu sehen.
Um 22:50 Uhr gibt es in der ARD zudem den Nachruf "Ich weiß, dass ich zufällig lebe". Autoren des 15-minütiges Films sind Jürgen Deppe und Thorsten Mack. Das ZDF kündigte für 22.15 Uhr eine 30-minütige Dokumentation an: "Zu Erinnerung an Günter Grass - Ein deutsches Leben".
dpa/km - Bild: Wojtek Jakubowski/AFP