Der Copilot des abgestürzten Germanwings-Fluges mit 150 Toten hat nach Erkenntnissen der Ermittler eine Erkrankung verheimlicht. In seiner Wohnung gefundene Dokumente hätten auf eine bestehende Erkrankung und eine entsprechende Krankschreibung hingewiesen, die auch für den Tag des Fluges gegolten habe, teilte die Staatsanwaltschaft in Düsseldorf am Freitag mit. Bei Germanwings lag indes keine Krankschreibung vor, wie ein Airline-Sprecher sagte. Der 27-jährige Copilot wohnte bei seinen Eltern in Montabaur im Westerwald und hatte auch in Düsseldorf eine Wohnung. Um welche Krankheit es sich handelte, blieb zunächst offen.
Die Universitätsklinik Düsseldorf bestätigte am Freitag, dass der Mann Patient in dem Krankenhaus gewesen sei - allerdings nicht wegen Depressionen. Zu eventuellen Krankheiten des Copiloten machte auch die Klinik keine Angaben. Erstmals sei er im Februar dieses Jahres und zuletzt am 10. März im Uni-Klinikum gewesen. Es sei um "diagnostische Abklärungen" gegangen.
Der Copilot, der aus Montabaur bei Koblenz stammte und seit 2013 als Copilot für Germanwings flog, steht im Verdacht, dass er den Germanwings-Airbus am Dienstag über Frankreich gezielt zum Absturz gebracht hat. Die Ermittler nehmen an, dass der Copilot "seine Erkrankung gegenüber dem Arbeitgeber und dem beruflichen Umfeld verheimlicht hat". An seinen beiden Wohnsitzen seien weder ein Abschiedsbrief noch Bekennerschreiben gefunden worden, es gebe keine Anhaltspunkte für einen politischen oder religiösen Hintergrund. Polizisten hatten am Donnerstag sein Elternhaus in Montabaur und seine Düsseldorfer Wohnung durchsucht. Sie verließen beide Wohnsitze mit Umzugskartons.
Staatsanwalt Robin: Ermittlungsverfahren noch unverändert
Das Verfahren der Staatsanwaltschaft in Marseille nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in Frankreich läuft unverändert. Die Ermittlungen seien bisher nicht zum Vorwurf der vorsätzlichen Tötung erweitert worden, sagte der zuständige Staatsanwalt Brice Robin der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. Nach dem Unglück hatte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet.
Während der Pressekonferenz am Donnerstag hatte Robin gesagt, eine Ausweitung des Vorwurfs werde erwogen. Zuvor hatte die Auswertung des Voice-Recorders ergeben, dass der Copilot den Germanwings-Airbus nach bisherigem Ermittlungsstand gezielt zum Absturz brachte. Über mögliche Motive gibt es bisher keine gesicherten Erkenntnisse. Robin setzt auf Aufzeichnungen des zweiten Flugschreibers, der bisher nicht gefunden wurde. Er wies Berichte zurück, dass die Eltern des Copiloten am Freitag von französischen Ermittlern vernommen worden seien.
Die Chefin der Länder-Rundfunkkommission, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), bat um eine respektvolle Berichterstattung. "Die Medien müssen selbstverständlich ihrer Berichtspflicht nachkommen", teilte sie mit. "Ich appelliere aber an die Berichterstatterinnen und Berichterstatter, ihre wichtige Aufgabe verantwortungsbewusst und vor allem mit dem nötigen Respekt vor der Privatsphäre der trauernden Angehörigen zu erfüllen." CDU-Oppositionschefin Julia Klöckner hatte um Selbstbegrenzung gebeten.
Bergungsarbeiten können dauern
Die Bergungsarbeiten, die am Freitag in den vierten Tag gingen, können sich in dem unwegsamen Gelände hinziehen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Suche nach dem zweiten Flugschreiber, der weitere Erkenntnisse zum Geschehen im Cockpit liefern könnte.
Die Fluggesellschaft Germanwings, eine Lufthansa-Tochter, eröffnet am Samstag in der Nähe der Absturzstelle ein Betreuungszentrum für Angehörige. Für Freitag war ein vierter Sonderflug mit Hinterbliebenen aus Barcelona geplant. Der Bundesrat gedachte zu Beginn seiner Sitzung am Freitag der Opfer, unter denen laut Auswärtigem Amt 75 Deutsche waren.
Die Auswertung des Stimmenrekorders hatte ans Licht gebracht, dass der Copilot seinem Kollegen nach einem Toilettengang nicht mehr die automatisch verriegelte Cockpit-Tür öffnete. Danach soll er nach derzeitigem Ermittlungsstand das Flugzeug eigenmächtig auf Sinkflug gebracht haben. Bis zuletzt ist auf der Aufnahme schweres Atmen zu hören.
Konsequenzen für Airlines
Für die deutschen Airlines kündigte der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) Konsequenzen an. Kein Pilot dürfe sich in Zukunft mehr allein im Cockpit aufhalten, sagte Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow am Donnerstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Am Freitag sollte die neue Zwei-Personen-Regelung, die erst einmal vorläufig eingeführt werde, mit dem Luftfahrt-Bundesamt besprochen werden.
Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt begrüßte die Ankündigung. "Das Vier-Augen-Prinzip im Cockpit ist eine richtige Überlegung", sagte er am Freitag der dpa. Air Berlin und Condor teilten mit, dass die Neuregelung bereits von Freitag an gelte. Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagte am Donnerstagabend in der ARD, man habe sich mit allen anderen großen deutschen Airlines entschieden, am Freitag mit den Behörden zu überlegen, "ob es kurzfristig Maßnahmen geben kann, die die Sicherheit noch weiter erhöhen".
Auch in Großbritannien ändern die meisten Airlines ihre Regeln nach einer Empfehlung der Flugsicherheitsbehörde. Die skandinavische Fluggesellschaft SAS, Air Baltic, Norwegian und Air Canada führen nach eigenen Angaben ebenfalls das Vier-Augen-Prinzip ein. "Das bedeutet, dass wenn einer der Piloten das Cockpit verlässt, etwa um auf Toilette zu gehen, eines der Crewmitglieder ins Cockpit gehen muss", sagte eine Sprecherin der norwegischen Fluglinie der dpa. Von Air France hieß es, man verfolge aufmerksam die Entwicklungen und die Untersuchungsergebnisse.
Luftfahrtbundesamt fordert Einsicht in Akten des Copiloten
Nach dem Absturz des Germanwings-Airbusses hat das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) in Braunschweig beim Aeromedical-Center der Lufthansa um Einsicht in die Akten des Copiloten gebeten. Das LBA werde die Unterlagen anschließend der französischen Staatsanwaltschaft übergeben, sagte ein LBA-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur am Freitag.
Die Behörde verwaltet die Lizenzen der Piloten. "Ein Lizenz-Inhaber muss sich ein Mal pro Jahr bei einem zugelassenen Fliegerarzt vorstellen und von diesem immer wieder ein neues Tauglichkeitszeugnis ausgestellt bekommen", so der Sprecher. Das Tauglichkeitszeugnis des Flugmediziners muss dann dem Luftfahrt-Bundesamt vorgelegt werden. In der Lizenz und im medizinischen Tauglichkeitszeugnis können Auflagen und Einschränkungen eingetragen sein. Das reicht vom Hinweis auf das Tragen einer Brille bis zum Vermerk SIC - der für "besondere regelhafte medizinische Untersuchungen" steht. Auf Anfrage wollte das LBA allerdings nicht bestätigen, ob ein solcher Vermerk auch im medizinischen Tauglichkeitszeugnis des Copiloten gestanden hat.
Stele erinnert in Le Vernet an 150 Opfer des Flugzeugabsturzes
In den französischen Alpen gibt es nach dem Flugzeugabsturz vom Dienstag bereits einen ersten Gedenkort. In dem Ort Le Vernet, der am nächsten an der Absturzstelle liegt, erinnert eine Stele an die 150 Opfer. "In Erinnerung an die Opfer des Flugzeugunglücks vom 24. März 2015", ist darauf in vier Sprachen zu lesen: Französisch, Deutsch, Spanisch und Englisch.
Das Mahnmal sei sehr rasch aufgestellt worden, sagte der Bürgermeister des Nachbarortes Seyne-les-Alpes. Die Präfektur der Region habe die Entscheidung zur Errichtung der Stele getroffen.
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dpa/fs/rop - Bild: Patrik Stollarz (afp)