Der Copilot der verunglückten Germanwings-Maschine hat nach Erkenntnissen der Ermittler den Sinkflug selbst ausgelöst und so den Airbus absichtlich zum Absturz gebracht. Er sei zu diesem Zeitpunkt allein im Cockpit gewesen, der Pilot sei aus der Kabine ausgesperrt gewesen, sagte der Marseiller Staatsanwalt Brice Robin am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. "Es sieht so aus, als ob der Copilot das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz gebracht und so zerstört hat." Hinweise auf einen terroristischen Anschlag gebe es nicht. Die Motive des 28-Jährigen sind unklar.
Der Pilot hatte demnach kurz zuvor das Cockpit verlassen, um auf die Toilette zu gehen, und das Kommando seinem Kollegen übergeben. Als er zurück ans Steuer wollte, habe er die automatisch verriegelte Kabinentür nicht mehr öffnen können, schilderte der Staatsanwalt. Die plausibelste Deutung gehe dahin, dass der Copilot vorsätzlich verhindert habe, dass die Tür geöffnet werde. Auf Ansprache des Towers habe der Mann nicht reagiert. Ein Notruf sei nicht abgesetzt worden.
Der Name des Copiloten wurde mit Andreas Lubitz angegeben. Laut Robin war er nicht als Terrorist erfasst. Bekannt war bereits, dass der Mann seit 2013 bei Germanwings beschäftigt war und aus dem rheinland-pfälzischen Montabaur stammte.
Der Stimmenrekorder habe bis zuletzt schweres Atmen aus dem Cockpit aufgezeichnet, gesagt habe der Copilot nichts mehr, erklärte der Staatsanwalt. In den letzten Minuten, bevor der A320 mit 150 Menschen an Bord an einer Felswand zerschellt sei, hätten der ausgesperrte Kapitän und die Crew von außen gegen die Cockpit-Tür gehämmert. "Die Schreie der Passagiere hören wir erst in den letzten Sekunden auf dem Band", sagten die Ermittler. In den ersten 20 Minuten nach dem Start haben sich Pilot und Copilot demnach ganz normal unterhalten.
Zweiter Flugschreiber noch nicht gefunden
Der zweite Flugschreiber sei noch nicht gefunden, sagte Robin weiter. Zuvor hatte er die aus Düsseldorf und Barcelona angereisten Hinterbliebenen der Todesopfer informiert. Die Bergung und Identifizierung der Opfer könne mehrere Wochen dauern. Kurz vor Beginn der Pressekonferenz in Marseille hatte bereits ein Düsseldorfer Staatsanwalt Medienberichte bestätigt, wonach einer der Piloten aus dem Cockpit ausgesperrt war. Die "New York Times" und die französische Nachrichtenagentur AFP hatten unter Berufung auf Ermittler berichtet, dass einer der Piloten seinen Platz verlassen und danach versucht habe, die verschlossene Tür einzutreten.
Angehörige der Opfer des Flugzeugabsturzes in den französischen Alpen sind mit sieben Bussen in der kleinen Ortschaft Le Vernet eingetroffen. Dort gedachten sie in unmittelbarer Nähe der Absturzstelle ihrer toten Kinder, Eltern und Geschwister. Sie wurden von örtlichen Helfern und Vertretern der Behörden begrüßt und auf einen Platz geleitet, wo sie einen direkten Blick auf den Tête de l'Estrop hatten. Hinter diesem Berg zerschellte am Dienstagvormittag die Maschine.
Die USA gehen weiterhin nicht davon aus, dass der Absturz der Germanwings-Maschine ein Terrorakt gewesen ist. "Soweit wir wissen, gibt es keine Verbindung mit Terrorismus", sagte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama. Er betonte jedoch, dass es keine Gewissheit gebe, bis die Ermittlungen der französischen Behörden abgeschlossen seien. Die USA hätten dabei ihre Unterstützung angeboten.
Nach dem absichtlich herbeigeführten Germanwings-Absturz hat die Pilotengewerkschaft Cockpit vor Schnellschüssen in der Debatte um neue Sicherheitsmaßnahmen gewarnt. "Zum jetzigen Zeitpunkt konkrete Maßnahmen zu nennen, wäre viel zu verfrüht", sagte der Präsident der Vereinigung Cockpit "Wir müssen genau sehen: Was hat jetzt dazu geführt? Welche Nachteile holt man sich mit einer Änderung ein?" Zu Überlegungen, einen weiteren Piloten ins Cockpit zu setzen, sagte er: "Dies ist ein Gedanke, der von vielen angedacht wird. Aber auch der würde noch keine hundertprozentige Sicherheit geben."
Genau um 10:53 Uhr hat die Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen am Donnerstag in aller Stille der 150 Todesopfer des Flugzeugabsturzes gedacht. Viele Behörden, Schulen und Unternehmen beteiligten sich an der Schweigeminute, zu der die Landesregierung aufgerufen hatte. Mancherorts stand auch der Verkehr still. Genau um 10:53 Uhr war die Funkverbindung zu der Germanwings-Maschine am Dienstag abgebrochen.
Der Airbus mit der Flugnummer 4U9525 war am Dienstag auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf, als er über Südfrankreich minutenlang an Flughöhe verlor und am Bergmassiv Les Trois Evêchés zerschellte. An Bord waren 72 Deutsche. Aus Spanien stammten nach Angaben aus Regierungskreisen in Madrid 50 Opfer, auch ein Belgier starb.
Copilot Andreas L. (27) von der Luftaufsicht mehrfach überprüft
Bei den routinemäßigen Sicherheitsüberprüfungen des Germanwings-Copiloten Andreas L. hat die Luftaufsicht keine Auffälligkeiten festgestellt. Das teilte die Düsseldorfer Bezirksregierung am Donnerstag mit. Zuletzt sei dem 27-Jährigen Ende Januar bescheinigt worden, dass keine strafrechtlichen oder extremistischen Sachverhalte gegen ihn vorliegen. Die Luftaufsicht habe ihn im Jahr 2008 zum ersten Mal sicherheitsüberprüft und zum zweiten Mal 2010, auch die beiden vorigen Male ohne jede belastende Erkenntnis. Die Sicherheitsüberprüfungen finden jetzt alle fünf Jahre statt, früher alle zwei Jahre.
Die Luftaufsicht überprüft sämtliches Boden-, Kabinen- und Cockpitpersonal der im Rheinland ansässigen Airlines, sowie alles Personal, das den Sicherheitsbereich der Flughäfen Köln/Bonn, Düsseldorf und Weeze betreten darf.
Merkel: Schier unfassbare Tragödie
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat den wohl durch den Copiloten herbeigeführten Germanwings-Absturz als Tragödie von schier unfassbarer Dimension verurteilt. "So etwas geht über jedes Vorstellungsvermögen hinaus", sagte Merkel am Donnerstag in Berlin.
Die Kanzlerin versprach, die Bundesregierung und die deutschen Behörden würden alles Erdenkliche tun, um die Ermittlungen zu unterstützen. "Wir kennen noch nicht alle Hintergründe." Deshalb bleibe es so wichtig, dass jeder Aspekt weiter gründlich untersucht werde.
- Ermittler durchsuchen Wohnungen des Germanwings-Copiloten
- Neue Enthüllungen zu Flugzeug-Absturz: Nur ein Pilot im Cockpit?
- Germanwings-Absturz: Schweigeminute für Opfer
- Untersuchungsbehörde: Keine Explosion vor Absturz
- An Flughäfen, im Kabinett: Schweigeminute für Germanwings-Opfer
- Nach Flugzeugabsturz: Arbeiten an Unglücksstelle gehen weite
- Rätselraten um Ursache des Flugzeugunglücks
dpa/euronews/fs - Archivbild: Sascha Schuermann (afp)