Zum Zeitpunkt des Absturzes der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen ist nach übereinstimmenden Medienberichten nur ein Pilot im Cockpit gewesen. Nach Informationen der "New York Times" und der französischen Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf anonyme Ermittler soll dies aus den Aufnahmen des bereits gefundenen Sprachrekorders hervorgehen. Sowohl die Lufthansa als auch Germanwings konnten die neuesten Enthüllungen am frühen Donnerstagmorgen zunächst nicht bestätigen.
Kurz vor dem Crash des Airbus A320, bei dem am Dienstag alle 150 Menschen an Bord ums Leben kamen, müssen sich offenbar dramatische Szenen in dem Flugzeug abgespielt haben. Nach Angaben der mit den Untersuchungen vertrauten Ermittler soll einer der Piloten vor dem Sinkflug das Cockpit verlassen und anschließend vergeblich versucht haben, die Tür zu öffnen, um wieder ins Cockpit zu kommen.
Stimmrekorder aus dem Cockpit ausgewertet
"Der Mann draußen klopft leicht an die Tür, aber es gibt keine Antwort", zitiert die Zeitung einen Ermittler. "Dann klopft er stärker an die Tür, und wieder keine Antwort. Es gibt keine Antwort. Und dann kann man hören, wie er versucht, die Tür einzutreten."
Warum er das Cockpit verließ und warum das Flugzeug in den Sinkflug ging, sei unklar. "Sicher ist, dass ganz zum Schluss des Fluges der andere Pilot allein ist und die Tür nicht öffnet", sagt der Ermittler laut "New York Times". Nach AFP-Informationen höre man zu Beginn des Fluges eine normale Unterhaltung auf dem Sprachrekorder.
"Dann hört man das Geräusch, wie ein Sitz zurückgeschoben wird, eine Tür, die sich öffnet und wieder schließt, Geräusche, die darauf hindeuten, dass jemand gegen die Tür klopft. Und von diesem Moment an bis zum Crash gibt es keine Unterhaltung mehr", sagt der Ermittler. Zuvor hätten sich die beiden Piloten auf Deutsch unterhalten.
"Wir haben derzeit keine Informationen vorliegen, die den Bericht der "New York Times" bestätigen", sagte ein Lufthansa-Sprecher am frühen Donnerstagmorgen. Man werde sich bemühen, weitere Informationen zu bekommen und "sich nicht an Spekulationen beteiligen". Nahezu wortgleich äußerte sich auch Germanwings in einer schriftlichen Erklärung. "Die Ermittlung der Unfallursache obliegt den zuständigen Behörden", hieß es zudem.
Von der französischen Untersuchungsbehörde BEA war in der Nacht zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.
Wie Spiegel-Online schreibt, war der Co-Pilot des Airbus' erst seit September 2013 für die Fluggesellschaft im Dienst und hatte 630 Flugstunden absolviert. Der erfahrenere Kapitän zählte mehr als 6.000 Flugstunden. Es sei aber unklar, welcher der beiden Piloten im Cockpit verblieben ist.
Erste Opfer geborgen
Beim Crash der Germanwings-Maschine in einer unwegsamen Bergregion in den französischen Alpen waren am Dienstag alle 150 Menschen an Bord ums Leben gekommen. Am Mittwoch wurden die ersten Opfer geborgen. Sterbliche Überreste der Getöteten seien am späten Mittwochnachmittag von der Unglücksstelle weggebracht worden, bestätigte ein Polizeisprecher in Digne. Zugleich ging die Suche nach dem zweiten Flugschreiber in dem Trümmerfeld weiter. Ohne dessen Daten dürfte die Ermittlung der Absturzursache äußerst schwierig werden.
Der Polizeisprecher in Digne ließ offen, wie viele Leichen geborgen wurden. Kleinteilige Trümmer des Airbus A320 lagen weit verteilt in dem abgelegenen Tal bei Seyne-les-Alpes. Die Suche nach den Getöteten war am Abend mit Einbruch der Dunkelheit eingestellt worden und soll am Donnerstag weitergehen. Neben der Suche nach dem zweiten Flugschreiber arbeiten die Bergungskräfte an der Ortung der Opfer.
Auch die Trümmer der Maschine sollen soweit möglich geborgen werden - auch sie könnten Aufschluss geben über die Ursache des Unglücks. Die Helfer sollen am Donnerstag erneut mit Helikoptern in das schwer zugängliche Gebiet starten, sofern das Wetter dies zulässt.
In der Nacht sollten erneut einige Spezialkräfte am Unfallort die Stellung halten und den Ort absichern.
Nach Angaben von Germanwings-Chef Thomas Winkelmann waren 72 Bundesbürger an Bord der Unglücksmaschine. Aus Spanien stammten nach Angaben aus Regierungskreisen in Madrid 51 Opfer. Die Maschine war auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf, als sie minutenlang an Flughöhe verlor und schließlich an dem Bergmassiv zerschellte.
Trauer in Deutschland und bei Germanwings
Das deutsche Bundesinnenministerium ordnete Trauerbeflaggung an allen Bundesbehörden an. Im Bundestag soll am Donnerstag der Opfer des Unglücks gedacht werden. Neben den deutschen waren auch Passagiere aus Spanien, Australien, Argentinien, Iran, Venezuela, den USA, Großbritannien, Niederlande, Kolumbien, Mexiko, Japan, Dänemark, Belgien und Israel an Bord.
Etliche Germanwings-Besatzungen erklärten sich am Mittwoch für nicht einsatzbereit. Winkelmann wies allerdings Berichte zurück, diese hätten aus Sorge um die technische Zuverlässigkeit der Flugzeuge den Dienst verweigert. "Wir haben Crews, die sich aus emotionalen Gründen nicht in der Lage fühlen, zu fliegen, weil sie unter Schock stehen und in tiefer Trauer sind", sagte Winkelmann der "Bild-Zeitung" (Donnerstag). "Aber das hat nichts mit dem technischen Zustand irgendeines Lufthansa oder Germanwings-Flugzeugs zu tun."
Zu den Ermittlungen zum Absturz der Germanwings-Maschine hat der Staatsanwalt von Marseille eine Pressekonferenz für Donnerstag 12.30 Uhr angekündigt.
Angehörige reisen zur Unfallstelle
Am Donnerstagvormittag sind Hinterbliebene von Todesopfern zur Unglücksstelle in Südfrankreich aufgebrochen. Vom Flughafen Düsseldorf startete am Donnerstag nach 9 Uhr ein Lufthansa-Airbus mit rund 50 Angehörigen, bestätigte eine Sprecherin des Konzerns. Mit an Bord reist auch ein Betreuer-Team, bestehend aus Seelsorgern, Ärzten und Psychologen. Außerdem ist ein zweiter Sonderflug mit einer Germanwings-Maschine für Angehörige der Crew am Donnerstagvormittag ab Düsseldorf geplant. Zu den Details wollte sich die Lufthansa aber nicht äußern.
Für die Angehörigen gibt es nach Angaben der Behörden aber keine Möglichkeit, an den Ort der Katastrophe zu gelangen. "Das ist nicht möglich, das ist viel zu gefährlich", sagte am Donnerstag der Unterpräfekt von Aix-en-Provence, Serge Gouteyron. Zusammen mit der Polizei und Helfern vor Ort bereitete er die Ankunft von Angehörigen in Le Vernet vor. Diese Siedlung liegt in unmittelbarer Nähe der Absturzstelle.
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dpa/jp/okr Bild: französisches Innenministerium