In dem armen Hochland leben vor allem Tibeter, die keineswegs den kommunistischen Staats- und Parteichef Hu Jintao im fernen Peking verehren - sondern vielmehr den Dalai Lama, das exilierte religiöse Oberhaupt des tibetischen Volkes. Nicht erst seit den blutigen Unruhen vor zwei Jahren in Tibet gilt die Region als Unruheherd, obwohl das große Leid und die Zerstörung durch das schwere Beben am Mittwoch die politischen Zwistigkeiten in den Hintergrund drängen. Doch wird auch in der Katastrophe einmal mehr deutlich, dass das Zusammenleben zwischen Chinesen und Tibetern keineswegs selbstverständlich ist.
Politiker und Mönche
Als Vizeministerpräsident Hui Liangyu bei einem Besuch in der zerstörten Stadt Jiegu rund 20 buddhistische Mönche in roten Roben mit örtlichen Helfern zwischen den Trümmern nach Verschütteten suchen sah, nutzte er sofort die Gelegenheit, um sie propagandistisch für die Einheit des Staates einzuspannen. "Ihre Teilnahme an der Rettungsaktion demonstriert umfassend die Liebe der Mönche und der Gläubigen für die Nation, die Religion und die Heimat", verkündete der Vizepremier über die Staatsagentur Xinhua, obwohl die Mönche wie jeder andere nur verzweifelt nach Vermissten suchten und in dem Moment wohl wenig an Politik dachten.
Annäherung möglich
Eine erfolgreiche Erdbebenhilfe könnte den Chinesen aber helfen, verlorene Sympathien unter Tibetern zurückzugewinnen. Es ist insofern auch eine Chance für Versöhnung. Der Süden der Provinz Qinghai an der Grenze zur heutigen Autonomen Region Tibet ist schon immer arm gewesen und gehört eigentlich zum alten Tibet, das die Kommunisten nach der Machtübernahme 1949 in Peking besetzt und in die Volksrepublik eingegliedert haben. Bis heute sehen die Tibeter in dem Dalai Lama, den Pekings Kommunisten als "Separatisten" oder "Wolf in Mönchsrobe" anprangern, ihr eigentliches weltliches Oberhaupt. Die Han-Chinesen empfinden sie als Fremdherrscher.
Knapp zwei Jahre nach der Erdbebenkatastrophe mit 87.000 Toten in Sichuan in Südwestchina will Chinas Regierung somit ihrem Volk und den Tibetern insbesondere zeigen, wie die Nation zusammensteht. Zwar lief die Hilfe wegen der schwierigen, weit abgelegenen Lage des Erdbebengebiets langsam an, doch überall in China werden Hilfsgüter für die Opfer bereitgestellt. Tausende Rettungskräfte sind mobilisiert, Dutzende Flugzeuge unterwegs. Es wird massiv gespendet. Eine Welle der Hilfsbereitschaft rollt an - sie wird auch dringend benötigt, weil die armen Tibeter in Yushu nichts mehr haben.
Viele Kinder unter den Opfern
Tragisch ist, dass wie in Sichuan auch in Qinghai wieder viele Schulkinder beim Einsturz ihrer einfach gebauten Schulen ums Leben kamen. Rund die Hälfte der Schulgebäude wurden zerstört. Die Leichen dutzender Kinder wurden geborgen. Viele lagen unter den Trümmern begraben. Erschütterte Eltern standen vor dem Gelände der zerstörten Yushu-Berufsschule. "Als das Erdbeben zuschlug, hatten die Schüler ihre Morgenübung beendet. Die meisten saßen beim Frühstück in der Schulkantine oder säuberten ihre Klassenzimmer", sagte Schulleiter Kuna Tenzin laut Xinhua. "Einige liegen im Schlafsaal verschüttet."
Aber selbst wo die Kinder ungeschoren davonkamen, herrschte blanke Verzweiflung. Im Kreis Zhiduo wurde eine Grundschule völlig zerstört, so dass die meisten der 400 Kinder bei eisigen Nachttemperaturen unter freiem Himmel schlafen müssen. Das berichtete der tibetische Lehrer, der sich auf Chinesisch Wenzhang Cairen nannte, in einem Telefongespräch mit der Nachrichtenagentur dpa in Peking. "Wir haben nur ein einziges Zelt für alle Kinder", sagte der Lehrer. "Hier in unserem Kreis treffen keine Hilfsgüter ein." Alles konzentriere sich auf die benachbarte Präfektur Yushu. "Es ist so kalt hier", meinte der Lehrer am Telefon und bat eindringlich um Hilfe: "Bitte, wenn Sie irgendwie können, schicken sie uns Zelte und warme Kleidung."
Andreas Landwehr (dpa) - Bild: epa