"Wir wollen Wandel", forderten Zehntausende bei einer Großdemonstration in Tel Aviv kurz vor den Wahlen. "Alles, nur nicht "Bibi" (Spitzname des amtierenden Regierungschefs Benjamin Netanjahu)", lautet das Motto des Mitte-Links-Bündnisses in Israel. Das Zionistische Lager liefert sich laut Umfragen ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen mit Netanjahus rechtsorientiertem Likud. Dennoch gilt es als wahrscheinlich, dass "Bibi" nach der Wahl am kommenden Dienstag seine vierte Amtszeit antreten kann. Überraschungen sind aber möglich: Zuletzt konnte die Linksopposition den Abstand zum Likud noch vergrößern.
Warum ist es so schwer, Netanjahu abzulösen, obwohl er sich mit seiner Blockadepolitik im eigenen Land und im Ausland viele Feinde gemacht hat? Der israelische Politikprofessor Avraham Diskin sieht die Angst vor der feindseligen Umgebung Israels als Hauptgrund für die besseren Chancen Netanjahus. Israel empfindet sich als "Villa im Dschungel": Im Nachbarland Syrien tobt seit Jahren ein blutiger Krieg, dazu kommen der Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat und immer neue Kriege mit der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen. Der Likud-Chef wird als starke Führungspersönlichkeit wahrgenommen, die Sicherheit ausstrahlt.
"Von der großen Mehrheit der muslimischen Welt wird Israel immer noch als ein illegitimer Staat angesehen, dazu kommt die Gefahr einer iranischen Atombombe", sagt Diskin, der unter anderem an der Hebräischen Universität in Jerusalem unterrichtet.
Netanjahu hat sich den Kampf gegen eine atomare Aufrüstung Teherans auf die Fahne geschrieben. Für seinen umstrittenen, aber medienwirksamen Auftritt vor dem US-Kongress hat er sogar in Kauf genommen, dass die Beziehungen mit dem engsten Verbündeten weiter abkühlen.
"Die Wähler haben nicht das Gefühl, dass es eine echte Alternative (zu Netanjahu) gibt", sagt Diskin. Seinem wichtigsten Gegner Izchak Herzog, Vorsitzender der Mitte-Links-Opposition, ist es kaum gelungen, sein farbloses Image aufzupolieren. Netanjahu könne sich zudem auf das größere rechte Lager stützen, selbst wenn Herzogs Zionistisches Lager bei den Neuwahlen stärkste Fraktion werden sollte. "Die Rechte kann immer noch mit mehr Stimmen rechnen, obwohl es sehr harte Kritik an Netanjahu und seiner Regierung gibt."
Verschwendung von Steuergeldern?
Netanjahu stand zuletzt wegen Vorwürfen am Pranger, er und seine Frau Sara verschwendeten mit ihrem aufwendigen Lebensstil Steuergelder. Nach den Wahlen soll sogar ein Untersuchungsverfahren eingeleitet werden. Zuletzt kam es nach einem kritischen Bericht des Staatskontrolleurs über die Wohnungskrise in Israel zu neuen sozialen Protesten in dem Land. Zwischen 2008 und 2013 sind die Wohnungspreise um 55 Prozent gestiegen, immer weniger Israelis können sich ein Eigenheim leisten.
Trotzdem sieht mehr als die Hälfte der Israelis Netanjahu auch als nächsten Ministerpräsidenten, nur ein Viertel traut seinem Rivalen Herzog diese Rolle zu. Die israelische Parteienlandschaft ist extrem zersplittert - trotz Anhebung der Sperrklausel auf 3,25 Prozent wird vermutlich elf Fraktionen der Einzug ins Parlament gelingen. Daher ist auch denkbar, dass es nach der Wahl keinen klaren Sieger gibt. Womöglich wird sich erst nach wochenlangen Koalitionsverhandlungen herauskristallisieren, wer das Land in Zukunft anführt.
Sollte es wirklich keinen klaren Favoriten geben, könnte Präsident Reuven Rivlin Likud und Zionistisches Lager zu einer großen Koalition drängen, meint ein Kommentator der Zeitung Times of Israel. Sollte das arabische Parteienbündnis wie erwartet drittstärkste Kraft werden, gäbe es dann erstmals in der israelischen Geschichte einen arabischen Oppositionsführer.
Das Zionistische Lager von Herzog und Zipi Livni setzt sich für eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen mit den Palästinensern ein. Die israelische Friedensorganisation Peace Now hat einen dramatischen Anstieg des Siedlungsausbaus während der Amtszeit Netanjahus verzeichnet. Allein im Jahre 2014 sei die Zahl der Baubeginne im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent gestiegen, hieß es in einem vor der Wahl veröffentlichten Jahresbericht. Bei der Wahl gehe es um "die Zukunft der Zwei-Staaten-Lösung", teilte Peace Now mit. "Jedes weitere Jahr mit der Rechten an der Macht bedeutet mehr Siedlungsbau und verringert die Wahrscheinlichkeit von zwei Staaten."
Von Sara Lemel, dpa - Archivbild: Uriel Sinai (afp)