Schwierig, schwierig, die Nullverschuldung anzustreben und gleichzeitig gegen die Terrorbedrohung aufzurüsten. Wobei aufrüsten nicht nur heißt mehr Geheimdienstler, eine stärkere Zusammenarbeit mit der NSA, mehr eigene Überwachungskräfte. Da müsste es auch möglich sein, sich ohne Hemmungen zum Bewerbungsgespräch mit Ali anzukündigen, statt zur Notlüge "Alain" greifen zu müssen. Ein schlechter Witz? Nein, Brüsseler Wirklichkeit. Dass viele Ali's und Abderrachmans auf den Trams der STIB arbeiten, überzeugt die jungen Brüsseler marokkanischer Abstammung nicht.
Vielleicht sind das föderale Brüssel und das Europa-Brüssel vor diesem Dilemma ja ein wenig erleichtert über den Wahlausgang in Athen, eröffnet er doch die Möglichkeit, die Einbahnstraße von Schuldenbremse und neuer EU-Buchhaltung zu verlassen, oder zumindest zu verbreitern. Den künftigen Generationen ein schuldenfreies Land zu hinterlassen, aber mit maroder Infrastruktur, ist auch kein Geschenk. Natürlich kann man die Straßen mit einer europaweiten Maut instandsetzen, aber das wird nicht reichen. Es ist auch kein Zufall, dass der ausländerfeindliche Mautgedanke ausgerechnet in Deutschland keimte, nachdem der volkswirtschaftliche Alleingang unter Gerhard Schröder die Verwerfungen auslöste, die später Europa in die six-pack-Zwangsjacke drückte. Da muss sich Berlin nicht wundern, dass in Athen an den deutschen Schuldenschnitt von 1953 erinnert wird.
Womit wir bei dieser Eigenart der Jahre 2014 und 2015 sind, dass die Schatten der Vergangenheit stärker als zuvor hervorgehoben werden, wie Auschwitz, wo Gastgeber Polen Putin nicht dabei haben wollte. Stichwort Russland und die Sanktionen - auch hier eröffnet Athen Brüssel einen möglichen Ausweg ohne zu großen Gesichtsverlust.
Zu den Schatten der Vergangenheit, eine Reportage des Magazins Knack: marokkanischstämmige Jugendliche beteuerten dem Reporter gegenüber, die Medien seien doch in zionistisch-jüdischer Hand. Der arabisch-israelische Konflikt droht sich nach Europa und Belgien hin zu exportieren - auch dieser Konflikt eine direkte Folge von Auschwitz. Dort entfachte sich bei den Überlebenden der unbändige Willen, ihre Zukunft in Palästina zu suchen. Wohin hätten sie auch zurück gekonnt, die meisten von ihnen?
Ein weiterer Grund für die gesteigerte Aufmerksamkeit dürfte die Tatsache sein, dass seit einigen Jahren - das war in den Jahrzehnten zuvor nicht so - dass verdeutlicht wurde, was vor Auschwitz geschah, nämlich Entrechtung und Erniedrigung: keine Haustiere mehr, keine Parkbänke, und die Versteigerung des Hausrats unter der Nachbarschaft. Und da platzt jetzt Rudi Vervoort hinein, in der Diskussion um eine Ausbürgerung von Djihadisten, das hätten die Nazis mit den Juden gemacht. Er hätte wissen müssen, dass man nicht mit der Auschwitz-Keule schwingt.
Sehr ungeschickt auch das Fanbanner in Sclessin, ausgerechnet jetzt mit Motiven eines Horror-Kultfilms von1980 zu kommen. Es greift zu kurz, sich darüber aufzuregen. Besser, man hätte sich damals schon über den Film aufgeregt, wovon es inzwischen schon mehr als 10 Folgen gibt. Der allererste Schritt zur Verrohung ist die Bildsprache im Netz und an der Playstation, in der vergangenen Woche auch im Dschungel, wo die Akteure ihre eigene Menschenwürde der Vermarktung preisgeben
A propos Bild: es ist schon erstaunlich, dass der Islamische Staat die Bildsprache beherrscht, von Sclessin bis Tokyo, wo doch der Islam die Bildgebung ablehnt. Aber beim IS geht es ja auch weniger um Religion als um Macht.
In Eupen verlief der Tag der Offenen Tür im muslimischen Gebetshaus harmonisch. Muss das erstaunen in einer konservativ geprägten Stadt? Während der Katholizismus schwächelt, erstarken nicht-sekuläre Wurzeln halt in anderer Form. Das hat Michel Houellebecq instinktsicher erkannt.
Bild: BRF