Genau sechs Jahre nach seinem Amtsantritt feiert US-Präsident Barack Obama Amerikas zurückerlangte Stärke. "Der Schatten der Krise liegt hinter uns", sagte er am Dienstagabend (Ortszeit) in seinem Bericht zur Lage der Nation vor dem Kongress in Washington. Er versprach, in seinen letzten beiden Jahren im Weißen Haus vor allem für eine bessere Unterstützung von Familien und den sozial Schwachen zu kämpfen. "Heute Nacht schlagen wir eine neue Seite auf", verkündete Obama.
Die USA seien kraftvoller aus der Rezession hervorgegangen als der Rest der Welt. "Seit 2010 hat Amerika mehr Menschen zurück in die Arbeit gebracht als in Europa, Japan und alle entwickelten Volkswirtschaften zusammen", sagte Obama. Zum ersten Mal seit fast 30 Jahren sei das Land nicht mehr abhängig von ausländischem Öl. Und nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in New York und Washington seien nunmehr die "langen und teuren" Kriege beendet.
Obama warnte den Kongress davor, seine sozialen Verbesserungen wie die Gesundheitsreform und den Schutz illegaler Einwanderer anzutasten. Die Republikaner haben erstmals in seiner Amtszeit die Mehrheit in beiden Kammern. Sie wollen viele seiner Reformen zurücknehmen. "Wenn ein Gesetz meinen Schreibtisch erreicht, das eines dieser Dinge versucht, wird es mein Veto ernten." Auch die strengeren Regeln für die Wall Street dürften nicht aufgeweicht werden.
Freie Hand gefordert
Obama forderte vom Kongress freie Hand für die derzeit verhandelten Freihandelsabkommen mit Europa (TTIP) und Asien (TPP). Man dürfe diese Märkte nicht Anderen überlassen. "China will die Regeln für die am schnellsten wachsende Region schreiben", sagte er. "Warum sollten wir das zulassen? Wir sollten diese Regeln schreiben."
Die Außenpolitik nahm in der Rede einen vergleichsweise kleinen Raum ein. Die USA hielten an ihrem globalen Führungsanspruch fest, sagte Obama. "Die Frage ist nicht, ob Amerika die Welt anführt, sondern wie." Dabei müsse militärische Macht mit starker Diplomatie verbunden werden.
Obama hob den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat hervor. "Diese Anstrengungen werden Zeit brauchen. Das wird Zielstrebigkeit erfordern. Aber wir werden erfolgreich sein." Er rief den Kongress auf, entsprechende Resolutionen zu verabschieden.
Das seit fünf Jahrzehnten bestehende Embargo gegen Kuba muss nach Ansicht Obamas aufgehoben werden. "Unser Wechsel in der Kuba-Politik hat das Potenzial, ein Vermächtnis des Misstrauens in unserer Hemisphäre zu beenden", sagte er.
Neue Herausforderungen ernst nehmen
Obama erklärte, neue Herausforderungen ernst zu nehmen. Etwa würden die USA Cyberangriffe genauso bekämpfen wie Terrorismus. "Keine fremde Nation, kein Hacker, sollte in der Lage sein, unsere Netzwerke stillzulegen", sagte er. "Wenn wir nicht handeln, machen wir unsere Nation und unsere Wirtschaft verwundbar. Obama rief den Kongress auf, endlich entsprechende Gesetz zu verabschieden.
Das von Menschenrechtlern kritisierte Gefangenlager Guantánamo müsse geschlossen werden, sagte Obama erneut. Seit seinem Amtsantritt habe er die Zahl der Inhaftierten halbiert. "Jetzt ist es Zeit, die Sache zu Ende zu bringen."
Unklar ist, was Obama von seinen Initiativen tatsächlich gegen die Oppositionsmehrheit umsetzen kann. Schon vorab hatten die Konservativen klargestellt, etwa Steueranhebungen für Reiche abzulehnen.
Obama fühlt sich auch durch verbesserte Umfragewerte gestärkt. In einer jüngsten Erhebung von ABC und "Washington Post" bescheinigen ihm erstmals wieder 50 Prozent der Befragten, er mache einen guten Job.
Auszüge aus Obamas Rede zur Lage der Nation
"Heute Nacht schlagen wir eine neue Seite auf." (...)
"Amerika, für all das, was wir erduldet haben, für all den Mut und die harte Arbeit, die für eine Rückkehr nötig war, für all die Aufgaben, die vor uns liegen, merke: Der Schatten der Krise liegt hinter uns, die Nation steht stark da." (...)
"Wir sind eine starke, eng verknüpfte Familie, die es durch einige sehr, sehr harte Zeiten geschafft hat." (...)
"Seit 2010 hat Amerika mehr Menschen zurück in die Arbeit gebracht als Europa, Japan und alle entwickelten Volkswirtschaften zusammen." (...)
"Die Frage ist nicht, ob Amerika die Welt anführt, sondern wie." (...)
"Über die vergangenen 13 Jahre haben wir einige Lektionen gelernt." (...)
"Heute steht Amerika stark und gemeinsam mit unseren Verbündeten da, während Russland isoliert ist und seine Wirtschaft in Fetzen liegt." (...)
"In Kuba beenden wir eine Politik, die ihr Verfallsdatum lang überschritten hatte." (...)
"Keine fremde Nation, kein Hacker, sollte in der Lage sein, unsere Netzwerke stillzulegen, unsere Handelsgeheimnisse zu stehlen oder in die Privatsphäre amerikanischer Familien einzudringen, insbesondere unserer Kinder." (...)
"Seit ich Präsident bin, habe ich verantwortlich daran gearbeitet, die Bevölkerung von (Guantánamo) zu halbieren. Jetzt ist es Zeit, die Sache zu Ende zu bringen. Und ich werde in meiner Bestimmtheit, es zu schließen, nicht nachgeben. Es ist nicht, wer wir sind." (...)
"Ich glaube immer noch, dass wir ein Volk sind. Ich glaube, dass wir gemeinsam große Dinge tun können, selbst wenn die Chancen schlecht stehen." (...)
"Eine bessere Politik ist eine, in der wir debattieren, ohne uns zu verteufeln, in der wir über Themen und Werte und Prinzipien und Fakten sprechen, anstelle von "Erwischt"-Momenten oder banalen Ausrutschern oder falschen Kontroversen, die nichts mit dem Alltag der Menschen zu tun haben." (...)
"Ich muss keine Wahlkämpfe mehr bestreiten. Ich weiß das, weil ich beide von ihnen gewonnen habe." (...)
"Wir sind immer noch mehr als eine Sammlung von roten Staaten und blauen Staaten, wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika."
dpa/est - Bild: Mandel Ngan (afp)