Haiti schafft es nicht, sich wieder aufzurappeln. Fünf Jahre ist es her, dass ein verheerendes Erdbeben der Stärke 7,0 den verarmten Karibikstaat in Schutt und Asche legte.
Zwar kommt der Wiederaufbau langsam voran, große Infrastrukturprojekte verändern allmählich das Antlitz der Hauptstadt Port-au-Prince, das Zentrum des Erdstoßes war. Auch die Schuttberge sind allmählich aus den Straßen verschwunden. Zehntausende Menschen leben aber immer noch in größter Not in provisorischen Zeltlagern.
Doch Haiti bleibt von Entwicklungshilfe aus dem Ausland abhängig. Zudem steuert das Land auf eine schwere politische Krise zu.
Am 12. Januar 2010 kamen mehr als 220.000 Menschen ums Leben, mehr als 300.000 wurden verletzt, mehr als zwei Millionen wurden obdachlos. Obwohl viele von ihnen inzwischen ein neues Zuhause gefunden haben, verharren rund 85.000 in etwa 120 Notlagern.
Amnesty fordert "nachhaltige Lösungen"
Die Bedingungen dort sind "schrecklich", schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Rund ein Drittel der Betroffenen habe keine Toilette. Ihre Bilanz nach fünf Jahren Wiederaufbau sei deswegen eher negativ, sagt Amnesty-Expertin Chiara Liguori. Sie kritisiert, dass viele Maßnahmen nur kurzfristig gewesen seien. Um die Flüchtlinge aus den Zeltstädten zu holen, habe die Regierung vielen nur vorübergehend einen monatlichen Mietzuschuss gewährt.
Nach Ablauf der Leistungen müssten viele ihre neuen Unterkünfte wieder verlassen, sagt Liguori. Die Zahl derer, die deshalb wieder obdachlos werde, bleibe völlig unklar. Fünf Jahre nach dem Beben brauche das Land endlich "nachhaltige Lösungen", fordert sie.
In Port-au-Prince selbst gebe es inzwischen weniger Flüchtlinge, teilweise aber deshalb, weil sie in andere, schlecht vorbereitete Siedlungen geschickt worden seien, sagt auch Arnold Antonin. Der bekannte haitianische Filmemacher glaubt, dass etwa in Canaan im Norden der Hauptstadt neue Wohnprobleme entstanden seien. In dem etwa 20 Kilometer nördlich von Port-au-Prince gelegenen Canaan wohnen nach Berechnungen von Hilfsorganisationen etwa 200.000 Menschen. Die Gegend war vor dem Beben weitgehend unbewohnt.
Laut dem Amnesty-Bericht bauen die Anwohner nun dort ohne staatliche Unterstützung und ohne jegliches Stadtentwicklungskonzept. "Man hat unseren Vorschlag aus der Zivilgesellschaft ignoriert, eine autonome Behörde für den Wiederaufbau zu gründen", sagt Filmemacher Antonin. Seit fast 30 Jahren organisiert er mit rund 80 anderen Intellektuellen und Vertretern der Zivilgesellschaft ein wöchentliches Forum, um die Probleme des Landes zu erörtern.
Sie blicken jetzt auch mit Sorge in die Zukunft. Haiti befindet sich wieder mal in einer schweren Krise. Wegen eines Dauerstreits zwischen Regierung und Opposition schaffen es die Behörden seit bald vier Jahren nicht, Parlamentswahlen abzuhalten. Am Jahrestag des Erdbebens laufen nun die meisten Mandate aus, das Parlament verfügt ab dann nicht mehr über die Mindestgröße. Die Regierung von Präsident Michel Martelly kann danach nur per Dekret regieren.
Filmemacher Antonin hofft, dass sich die Politiker doch noch auf den Wahlablauf verständigen, damit sich das Land endlich ganz dem Wiederaufbau widmen kann.
Unruhen - Rücktritt von Präsident Martelly gefordert
In Haiti haben Dutzende Menschen den zweiten Tag in Folge gegen die Regierung von Staatschef Michel Martelly demonstriert. Vor dem Parlamentssitz in der Hauptstadt Port-au-Prince kam es am Sonntagabend zu Straßenschlachten mit der Polizei, wie haitianische Medien berichteten. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Haiti Press Network wurde mindestens ein Mensch durch ein Gummigeschoss verletzt.
Die Demonstranten forderten den Rücktritt von Präsident Martelly. Nach Angaben vom Rundfunksender Radio Metropole scheiterte am Freitag ein erneuter Verhandlungsversuch zwischen Martelly und mehreren Oppositionssenatoren, um eine Einigung auf Wahlen kurz vor der Parlamentsauflösung zu erzielen.
Von Isaac Risco, dpa - Bild: Hector Retamal/AFP