Der Rücktritt von Präsident Ma Ying-jeou als Vorsitzender der Regierungspartei bedeutet das Ende für eine weitere Annäherung Taiwans an China. Die überraschend hohe Wahlniederlage der Kuomintang bei der Kommunalwahl war nach Einschätzung von Beobachtern auch eine Absage der Taiwanesen an engere Beziehungen zum mächtigen kommunistischen Nachbarn, die der Präsident trotz wachsenden Widerstands massiv vorangetrieben hatte.
Gut ein Jahr vor der Präsidentenwahl, bei der Ma Ying-jeou nach zwei Amtszeiten ohnehin nicht mehr antreten kann, gilt der Präsident jetzt als "lahme Ente". Beobachter rechnen mit einem Machtkampf, der die Kuomintang auf eine Zerreißprobe stellen wird. "Sein Rücktritt wird viele Umbesetzungen und Machtschiebereien auslösen", sagt Chen Xiancai, Vizedirektor des Taiwan-Instituts der Universität Xiamen. Xiamen liegt gegenüber der demokratischen Inselrepublik auf dem chinesischen Festland.
Mit neuen Initiativen in den Beziehungen zu Festlandchina rechnet vorerst niemand. Ein kontroverses Handelsabkommen im Dienstleistungsbereich liegt auf Eis. "Die vernichtende Niederlage spiegelt das geringe Vertrauen der Taiwanesen in die Kuomintang wider", sagt der chinesische Forscher Chen Xiancai. "Deswegen wird der Partei der Mut fehlen, die Beziehungen zu China voranzutreiben."
Die kommunistische Führung in Peking, die voll auf Ma Ying-jeou gesetzt hatte, muss sich neu orientieren. "In Peking wird jetzt Panik ausbrechen, weil die Kuomintang offensichtlich nicht mehr der richtige Kanal ist, um über die Vorgänge in Taiwan Bescheid zu wissen", sagt der exilierte Führer der 1989 blutig niedergeschlagenen Demokratiebewegung in China, Wang Dan, der heute als Politikwissenschaftler in Taiwan unterrichtet.
Seit 2008 hatte Präsident Ma Ying-jou die Inselrepublik näher an Festlandchina herangeführt. Die seit mehr als sechs Jahrzehnten verfeindeten Seiten nahmen direkte Flug-, Schiffs- und Postverbindungen auf. Der Handel wurde erleichtert, aber damit musste sich Taiwan auch finanzstarken Investoren aus China öffnen.
Die Angst vor dem übermächtigen, diktatorischen Nachbarn, der seinen Einfluss in Taiwan ausdehnt, wird verstärkt durch den Umgang mit den prodemokratischen Demonstrationen in Hongkong. Dass Peking sich weigert, dort in Zukunft freie Wahlen einzuführen, und damit sein Versprechen nicht wahr machen will, das es bei der Rückgabe der britischen Kronkolonie 1997 an China gemacht hatte, verstärkt das ohnehin schwelende Misstrauen der Taiwanesen.
Viele Taiwanesen klagen auch, dass nur große Konzerne von dem erleichterten Wirtschaftsaustausch profitierten, während die Abhängigkeit von China wachse. Unmut gibt es auch über die Kluft zwischen Arm und Reich, stagnierende Einkommen und steigende Immobilienpreise. Der Widerstand gegen die Handelsabkommen eskalierte im Frühjahr, als Studenten das Parlament besetzten.
Ihr bislang größter Sieg bei einer Kommunalwahl beflügelt die Hoffnungen der oppositionellen Fortschrittspartei (DPP), 2016 den Machtwechsel zu schaffen. Da die Partei ihre Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung hat, droht in diesem Fall eine Eiszeit im Verhältnis zu Peking, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet. "Wenn die DPP gewinnt und es ablehnt, ihre Politik gegenüber Festlandchina zu ändern und anzuerkennen, dass es nur ein China gibt, wird es schwere Auswirkungen auf die Beziehungen haben", warnt der chinesische Wissenschaftler Chen Xiancai. Dass Taiwan zu diesem "einen China" gehöre, sei die Grundlage für friedliche Beziehungen. Ohne sie sieht er "große versteckte Gefahren".
Von Andreas Landwehr, dpa - Bild: Sam Yeh/AFP