Die Ukraine will nach Worten von Außenminister Pawlo Klimkin die von Separatisten besetzten Gebiete nicht zurückerobern. "Eine militärische Offensive würde doch auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen, unsere ukrainischen Landsleute", sagte Klimkin der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Freitagausgabe). Seine Regierung wolle sich weiter an das Waffenruhe-Abkommen halten und strebe eine politische Lösung an, betonte der Minister.
Sollten die von Russland unterstützten Separatisten jedoch neue Angriffe starten, sei die ukrainische Armee inzwischen stark genug, um sie zurückzuschlagen. Klimkin kündigte in dem Blatt an, dass die Ukraine wohl schon bald weitere westliche Finanzhilfen benötigen werde.
Wegen des Bruchs der Waffenruhe in der Ukraine hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den russischen Präsident Wladimir Putin in ungewöhnlich scharfer Form persönlich attackiert. Stoltenberg warf Putin vor, das Aufflammen des Konflikts in der Ukraine befördert zu haben. "Wir haben in den letzten Tagen beobachtet, dass Russland erneut Waffen, Ausrüstung, Artillerie, Panzer und Raketen über die Grenze in die Ukraine gebracht hat", sagte er. "Präsident Putin hat klar die Vereinbarungen zur Waffenruhe gebrochen und erneut die Integrität der Ukraine verletzt."
Der Konflikt in der Ostukraine verschärfte sich vor dem G20-Gipfel mit Putin an diesem Wochenende in Australien noch einmal deutlich. "Der einzige Grund, warum noch kein offener Krieg begonnen hat, ist die Zurückhaltung der Ukraine", sagte Kiews UN-Botschafter Juri Sergejew bei einer Sondersitzung des Sicherheitsrats in New York.
Er warf Russland vor, mit der Unterstützung der moskautreuen Separatisten eine friedliche Lösung zu torpedieren. Russlands UN-Diplomat Alexander Pankin wies die Vorwürfe am Donnerstag als "propagandistische Fälschung" zurück.
Die Vereinten Nationen warnten vor einem endgültigen Aus für die Anfang September vereinbarte Waffenruhe. "Wir sind tief besorgt, dass die schweren Kämpfe der Vergangenheit jederzeit wieder ausbrechen könnten. Das wäre eine Katastrophe für die Ukraine", sagte UN-Vize-Untergeneralsekretär Jens Anders Toyberg-Frandzen. "Jeden Tag sterben Menschen. (...) Die Situation könnte instabiler kaum sein."
Die Hoffnungen vieler richten sich nun auf das Treffen der 20 Industrie- und Schwellenländer (G20) in Brisbane. Möglicherweise gelingt es bei Gesprächen mit Putin sowie US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel, einen Ausweg aus der Krise aufzuzeigen.
Vorerst verlegte Russland in einer neuen Machtdemonstration vier Kriegsschiffe vor die Küste Australiens. "Die Bewegung dieser Schiffe steht völlig im Einklang mit den Vorschriften der internationalen Gesetze, wonach sich Militärschiffe in internationalen Gewässern frei bewegen können", teilte Australiens Verteidigungsministerium mit.
Kurz vor dem Gipfel drängte Russland den Westen zu einem Ende der Strafmaßnahmen in der Ukrainekrise. Die Sanktionen müssten aufgehoben und die Beziehungen normalisiert werden, sagte Regierungschef Dmitri Medwedew. Die Konfliktparteien sollten zu "produktiven Gesprächen" zurückkehren. Medwedew sagte, er habe am Rande des Gipfels der südostasiatischen Staaten in Myanmar auch kurz Obama getroffen. Zur Diskussion über die Ukraine habe die Zeit aber nicht gereicht.
Aus dem Krisengebiet Donbass berichtete die Pressestelle der ukrainischen "Anti-Terror-Operation" von mehr als 40 Angriffen auf ihre Einheiten durch die Aufständischen innerhalb von 24 Stunden. Dabei seien mehrere Soldaten getötet oder verletzt worden, hieß es. Die Separatisten sprachen ihrerseits von Artillerieangriffen der Regierungstruppen unter anderem in der Großstadt Donezk.
Mit Nachdruck wies Moskau Vorwürfe des Westens und der proeuropäischen Führung in Kiew zurück, in der Ostukraine würden russische Soldaten an der Seite der Aufständischen kämpfen. "Wer solche Fakten hat, soll diese vorlegen", sagte Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch. Alles andere seien "erlogene Behauptungen". "Ich sage ganz offiziell, es gibt keine militärischen Bewegungen über die Grenze und keinen unserer Militärangehörigen auf dem Territorium der Ukraine - und es hat auch keinen gegeben", sagte Lukaschewitsch.
Der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zufolge waren innerhalb der vergangenen Woche 665 Menschen in Militärkleidung in beiden Richtungen über die russisch-ukrainische Grenze gegangen. Dies sei die bislang höchste beobachtete Zahl seit Beginn des OSZE-Mandats. Waffen hätten die Beobachter nicht gesehen.
Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, sprach von "andauernden und eklatanten Verletzungen" der Vereinbarungen für eine Beilegung des Konflikts "durch Russland und seine Stellvertreter". Sie bezog sich auf Nato-Berichte über Truppenbewegungen Russlands.
dpa/jp - Bild: Menahem Kahana (afp)