Alles kam anders als gedacht, die schönsten Wünsche wurden nicht wahr. Anders Fogh Rasmussen (61), der zwölfte Nato-Generalsekretär seit der Gründung des Nordatlantischen Bündnisses 1949, scheidet aus dem Amt. Nach fünf Jahren an der Spitze der Nato-Zentrale überlässt der Däne Rasmussen zum Monatsende den Posten dem Norweger Jens Stoltenberg (55) - mitten in einer schweren, hochbrisanten Beziehungskrise zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem Rest der westlichen Welt.
Der politische Kopf der 28 Mitglieder zählenden Nato wird nur selten von einem Lauf der Weltendinge überrascht, der zum völligen Umdenken zwingt. Dem damals deutschen Nato-Frontmann Manfred Wörner passierte das 1989 und 1990, als die Sowjetunion und der Warschauer Pakt zerbröselten und in Windeseile der Nato ihr potenzieller Hauptgegner abhandenkam. Und auch Rasmussen musste die Allianz seit Anfang 2014 neu einnorden: "Russland betrachtet die Nato und den Westen als Gegner", befand der Nato-Chef an einem seiner letzten Amtstage.
Im August 2009 hatte Rasmussen ganz anders geklungen. "Wir sollten uns auf das konzentrieren, was uns verbindet", hatte er damals zum Arbeitsbeginn in Richtung Moskau gesagt. Zwei Monate zuvor hatten die Nato-Außenminister beschlossen, die ein Jahr zuvor nach der russischen Militäraktion in Georgien eingefrorenen Beziehungen zu Moskau wieder aufzunehmen.
Von einem "Neuanfang" sprach Rasmussen, von gemeinsamen Analysen der globalen Bedrohungen, vielleicht gar einer gemeinsamen Raketenabwehr. Russlands Nato-Botschafter Dmitri Rogosin erschien mit einer Axt im Büro Rasmussens, um "das Kriegsbeil zu begraben". Diese Zeiten sind vorbei - nicht nur weil die EU Rogosin wegen dessen Unterstützung der russischen Annexion der Krim mittlerweile Einreiseverbot erteilt hat.
Nato verwandelt
Putins Vorgehen auf der Krim, der bedrohliche Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine, die Unterstützung prorussischer Separatisten und schließlich der Einsatz mehrerer Tausend regulärer Soldaten in der Ostukraine haben die Nato verwandelt. "Es gibt einen Bogen der Krisen und Instabilität vom Osten bis zum Süden", formuliert Rasmussen unter Bezug auf Russland ebenso wie auf die islamistische Terrormiliz IS. "Und der bedroht unsere Bevölkerungen und unser Territorium."
Allerdings ist die Nato auf die Abwehr solcher Bedrohungen nur noch bedingt eingerichtet. Sie hat seit 1990 massiv abgerüstet: Von einst 5,8 Millionen Soldaten sind nur noch 3,4 Millionen übrig geblieben. In Deutschland sank die Zahl nach Nato-Angaben sogar von 548000 auf 184.000 im vergangenen Jahr. Die Verteidigungsausgaben sind gesunken - vor allem in Europa, das nur noch 25 statt einst fast 50 Prozent der Verteidigungsausgaben der Nato erbringt und dessen Freude über die angebliche "Friedensdividende" mit wachsendem Ärger in den USA über die europäischen "Trittbrettfahrer" in Sachen Sicherheit einhergeht.
Die neue Erfahrung, dass Moskau vor gewaltsamer Veränderung bestehender Grenzen nicht zurückschreckt, hat vor allem bei den östlichen Nato-Mitgliedern Angst vor einer Wiederholung der russischen Konfliktszenarien à la Transnistrien, Georgien und Ukraine ausgelöst. Rasmussen wurde daher zum Steuermann eines politischen Kurswechsels, der Anfang September bei einem Gipfeltreffen in Newport (Wales) besiegelt wurde. Stichwortartig lautet er: Das Bündnis muss wieder zur gemeinsamen Verteidigung in der Lage sein und es muss stärkere Präsenz in seinen östlichen Mitgliedsstaaten zeigen.
Das bedeutet vor allem, dass wieder mehr und nicht ständig weniger für Verteidigung ausgegeben wird: Für funktionierende, einsatzfähige Flugzeuge, Hubschrauber, Schiffe, Fahrzeuge und Waffen. Es bedeutet auch, dass die Allianz zumindest über eine sehr rasch einsetzbare Truppe von mehreren Tausend Mann verfügen soll, um für den Konfliktfall glaubhaft mit einer Eskalation drohen und damit abschrecken zu können. Rasmussens Wunsch, die Nato in einer engen Partnerschaft mit Russland zu einer Art internationalem Sicherheitsdienstleister zu machen, ging also nicht in Erfüllung. Das Bündnis hat stattdessen begonnen, sich wieder um das Nächstliegende zu kümmern - die eigene Sicherheit.
Dieter Ebeling, dpa - Archivbild: John Thys (afp)