Der jüngste Gaza-Krieg hat in Polen keine israel-kritischen Demonstrationen mit antisemitischen Sprechchören ausgelöst. In dem Land, in dem vielen Menschen die Lage in der benachbarten Ukraine Sorgen bereitet, beschäftigte der Konflikt im Nahen Osten eher die Autoren von Leitartikeln als die Diskussion auf der Straße.
Ganz anders ist die Lage im Internet, in Diskussionsforen und auf den Kommentarseiten von polnischen Nachrichtenportalen und Onlinemedien. Hier pflegen anonyme Hetzer ihren Hass auf Juden, auf Roma, auf Schwule - auf alle, die anders sind und ihrer Meinung nach nichts in Polen zu suchen haben.
Auch der bisherige polnische Außenminister und neue Parlamentspräsident Radoslaw Sikorski ist in besonderem Maß von Anfeindungen betroffen. Seine Frau, die amerikanische Publizistin und Osteuropa-Expertin Anne Applebaum, stammt aus einer jüdischen Familie. Übelste Beschimpfungen gegen die Pulitzer-Preisträgerin, Sikorski und die gesamte Familie werden seit Jahren im polnischen Internet verbreitet.
Sikorski wollte sich das nicht gefallen lassen - nicht als Privatperson und nicht als Außenminister eines Landes, in dem vor dem Zweiten Weltkrieg die größte jüdische Diaspora Europas lebte. Er strengte mehrere Prozesse gegen Zeitungsverlage und Webseiten an, die antisemitische und rassistische Kommentare nicht löschten. Antisemitismus und Fremdenhass, so argumentierte Sikorski, schaden dem Ansehen Polens in Europa und in der Welt. "Der Hass im Netz ist nicht meine Privatangelegenheit."
Doch beim Kampf dagegen scheitert auch ein Minister. Zwar haben Sikorskis Strafanzeigen bei einigen Onlinemedien zum Umdenken und mehr Moderatoren-Kontrolle auf den Kommentarseiten geführt. Immer wieder wird aber auch damit argumentiert, dass angesichts der Zahl und Häufigkeit solcher Kommentare ein Einschreiten nur begrenzt möglich ist.
Die Stiftung "Wiedza Lokalna" untersucht seit Jahren in ihrem Minderheitenbericht tausende von Internetkommentaren. In den Kommentaren über Juden handelt es sich in 45 Prozent der Fälle über Negativäußerungen, bei Muslimen in 42 Prozent der Fälle, heißt es im aktuellen Bericht. "Der schmierige Antisemitismus, der sich im Internet oder mit Aufschriften an Autobahnbrücken austobt, wird zu wenig als Problem benannt und wahrgenommen", kritisiert auch Christoph Heubner, Vize-Exekutivpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitee, die polnischen Verhältnisse.
Rechtslage sollte klar sein
Die Rechtslage sollte eigentlich klar sein: Aufruf zum Hass gegen Juden und andere Minderheiten, Propagierung von Faschismus und seinen Symbolen und Leugnung des Holocaust sind in Polen strafbar. So weit der Artikel 256 des polnischen Strafgesetzes.
Doch als in der vergangenen Woche in Breslau (Wroclaw) der Prozess gegen den rechtsextremen Autor eines Buches mit dem Titel "Wie ich mich in Adolf Hitler verliebte" beginnen sollte, war der Richter zunächst geneigt, das Verfahren einzustellen. Auch die von Sikorski angestrengten Verfahren wurden wiederholt eingestellt. Es gebe kein öffentliches Interesse, meinte die zuständige Staatsanwältin im Juli.
Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet, der schon im vergangenen Herbst einer Reihe von Staatsanwälten Seminare zur Sensibilisierung für rechtsextreme Vorkommnisse verordnete, kritisierte die Entscheidung scharf und empfahl daraufhin ein Disziplinarverfahren. Das Bezirksgericht Warschau ordnete Anfang September die Fortsetzung der Ermittlungen an.
Doch Seremets Möglichkeiten sind begrenzt. "Dieses Beispiel zeigt, dass einige der Untergebenen Seremets ihre Unabhängigkeit ausnutzen, um dem Chef auf der Nase herumzutanzen", kommentierte die linksliberale "Gazeta Wyborcza". "Und bei der Gelegenheit verspotten sie Recht und Anstand und machen Polen als Land mit zivilisatorischen Standards lächerlich."
Eva Krafczyk, dpa - Bild: Giuseppe Aresu (afp)