Nach monatelangen Kämpfen zwischen prorussischen Separatisten und dem ukrainischen Militär will Kiew die Waffen schweigen lassen. Präsident Petro Poroschenko kündigte nach einem Telefongespräch mit Kremlchef Wladimir Putin am Mittwoch eine Waffenruhe an. Putin forderte eine internationale Kontrolle der geplanten Feuerpause und stellte einen Sieben-Punkte-Plan zur Beilegung des Konflikts auf. Noch an diesem Freitag könnten die Ukraine und die Aufständischen bei Gesprächen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk über die Waffenruhe verhandeln, sagte Poroschenko. Mit Hinweis auf Brennstoffmängel drehte die ukrainische Regierung unterdessen der von Russland annektierten Halbinsel Krim teilweise den Strom ab.
In ihrem Gespräch hätten Putin und Poroschenko ein "Regime der Feuerpause" vereinbart, teilte die Präsidialverwaltung mit. Kremlsprecher Dmitri Peskow bestätigte, dass es bei dem Gespräch eine "bedeutende Annäherung" gegeben habe. Er betonte allerdings, es gebe keine Vereinbarung zwischen Moskau und Kiew über eine Feuerpause.
Zu Putins Sieben-Punkte-Plan gehört, dass die prorussischen Aufständischen in den Regionen Donezk und Lugansk ihre Offensive einstellen. Parallel sollten Regierungseinheiten die Kampfzone verlassen, sagte Putin bei einem Besuch in der Mongolei. Nötig sei auch ein Gefangenenaustausch und die Einrichtung eines Korridors für Flüchtlinge. Seine Ansichten und die Poroschenkos lägen nahe beieinander, sagte Putin.
Die prowestliche Regierung in Kiew lehnte Putins Vorschläge ab. "Das ist ein Plan zur Vernichtung der Ukraine und zur Wiederherstellung der Sowjetunion", sagte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk. Putins Initiative sei ein Versuch der Augenwischerei für die internationale Gemeinschaft vor dem Nato-Gipfel an diesem Donnerstag. "Er will den Konflikt einfrieren und damit neue Sanktionen gegen Russland vermeiden", sagte er. Der beste Plan für ein Ende des Konflikts bestehe aus nur einem Punkt: "Russland soll seine Armee aus der Ukraine abziehen", sagte Jazenjuk.
Zugleich wurden in Kiew Pläne bekannt, entlang der Staatsgrenze zu Russland eine rund 2000 Kilometer lange Mauer zu bauen. "Wir wollen einen echten Schutz", sagte Jazenjuk.
Massiver Rückzug ukrainischer Regierungstruppen
Die prorussischen Separatisten im Donbass berichteten bereits in der Nacht von einem massiven Rückzug der ukrainischen Regierungstruppen. Sie begrüßten Poroschenkos Ankündigung einer Waffenruhe, blieben aber skeptisch. Sollte es Kiew ernst meinen, seien die Aufständischen zu einer politischen Lösung des Konflikts bereit, hieß es.
Beobachter in Kiew vermuteten, dass Poroschenko sich angesichts jüngster Niederlagen seines Militärs für eine zeitweilige Feuerpause entschieden habe, um die Kräfte neu zu ordnen. Früher hatte es lediglich von Kiew eine einseitig erklärte Feuerpause gegeben.
Um den Waffenstillstand hatte es stundenlange Verwirrung gegeben. Zunächst hatte der Kreml mitgeteilt, dass Putin und Poroschenko bei ihrem Gespräch über einen Ausweg aus der Krise beraten hätten. Details wurden nicht genannt. Wenig später überraschte Poroschenko mit der Mitteilung, er habe mit Putin "eine dauerhafte Waffenruhe" vereinbart. Kremlsprecher Peskow dementierte dies und erklärte, Russland könne eine Waffenruhe nicht aushandeln, weil es keine Konfliktpartei sei.
Nach dem Dementi aus Moskau milderte Kiew seine Mitteilung unkommentiert ab. Das Präsidialamt strich den Zusatz "dauerhaft" und informierte nur noch über ein vereinbartes "Regime der Feuerpause", wie wenig später auf der Internetseite der Behörde zu lesen war. Die Änderung auf der Webseite wurde nicht kenntlich gemacht, und die Uhrzeit der Veröffentlichung blieb unverändert. Der Deutschen Presse-Agentur lagen beide Varianten vor.
Bisher hatte Russland stets betont, dass es sich bei der Krise in der Ostukraine um einen innenpolitischen Konflikt der Ex-Sowjetrepublik handele. Der Kreml hatte einen Einfluss auf die prorussischen Separatisten immer bestritten und gefordert, dass die prowestliche Regierung in Kiew selbst mit den Aufständischen einen Waffenstillstand vereinbaren müsse.
Fast 2600 Tote
Tausende Menschen starben bei dem seit April andauernden Konflikt im russischsprachigen Gebiet der Ukraine. Ein im Konfliktgebiet lange Zeit vermisster Journalist wurde nach Angaben aus Moskau bei einem Angriff ukrainischer Soldaten getötet. Russland forderte Aufklärung. Präsident Putin sprach den Angehörigen des 33-jährigen Fotografen Andrej Stenin sein Beileid aus.
Russland kritisierte ein in der Westukraine geplantes Manöver mit Nato-Einheiten als "Provokation". Es sei "nicht human, dass die Nato in einer Zeit, in der sich die Ukraine faktisch im Bürgerkrieg befindet, ihre militärische Unterstützung für das Kiewer Regime demonstriert", sagte Generaloberst Leonid Iwaschow. Moskau kündigte seinerseits ebenfalls ein großes Militärmanöver für September an.
Ukraine muss Kohle in Südafrika kaufen
Als Folge der Kämpfe gegen Separatisten hat der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk den Import von einer Million Tonnen Kohle aus Südafrika angekündigt. "Das erste Schiff wird gerade beladen", sagte er am Mittwoch in Kiew. Mit dem Brennstoff soll die Stromversorgung im Winter gewährleistet werden. Das Energieministerium hatte die Versorger zuvor angewiesen, bereits Notfallpläne für zwei tägliche Stromabschaltungen von je zwei Stunden auszuarbeiten.
Aufgrund der Kämpfe im Osten des Landes stehen viele Schächte in der Kohleregion still. Die Ukraine erzeugt knapp 50 Prozent der Energie in Wärmekraftwerken und 43 Prozent aus Atomkraft.
dpa/br/jp/mh - Bild: Georges Gobet (afp)