Rund 1000 gemeldete Todesfälle in Westafrika lassen die WHO zu ihrem stärksten Instrument greifen: Um die bislang schwerste bekannte Ebola-Epidemie einzudämmen, hat die UN-Organisation den Internationalen Gesundheitsnotfall ausgerufen.
Damit kann die Organisation nun völkerrechtlich verbindliche Vorschriften zur Bekämpfung der Epidemie erlassen. Alle Staaten seien verpflichtet und dringend aufgerufen, an der Eindämmung der Seuche in Westafrika mitzuwirken, erklärte die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation, Margaret Chan, am Freitag in Genf.
Eine Ausbreitung auf andere Teile der Welt müsse unbedingt verhindert werden. Die betroffenen Westafrikaner müssten umfangreiche Hilfe bekommen. "Sie haben einfach nicht die Kapazitäten, mit einem Ausbruch von dieser Größe und Komplexität fertig zu werden", sagte Chan bei einer internationalen Pressekonferenz.
Die WHO-Chefin folgte mit der Entscheidung einer Empfehlung des WHO-Notfallkomitees. Die Viren- und Seuchen-Experten aus mehreren Ländern waren nach zweitägigen Beratungen am Donnerstagabend einstimmig zu dem Schluss gekommen, dass die Ausrufung des Notstands unumgänglich ist. Der Ebola-Ausbruch in Westafrika sei "ein außerordentliches Ereignis", das auch die Gesundheit der Menschen in anderen Staaten bedrohe.
Möglich wären laut den 1969 von den WHO-Mitgliedstaaten vereinbarten Internationalen Gesundheitsvorschriften unter anderem Quarantäne-Maßnahmen, darunter die Schließung von Grenzen sowie Einschränkungen im internationalen Reiseverkehr. So weit wollen die Notfall-Experten aber zunächst noch nicht gehen. Bislang seien keine generellen Verbote im Reiseverkehr oder im internationalen Handel erforderlich, heißt es in ihrem Empfehlungskatalog.
Reisende müssten aber obligatorisch über die Ebola-Lage sowie Schutzmaßnahmen informiert werden. Alle Staaten sollten zudem vorbeugende Maßnahmen treffen, um Ebola-Fälle rasch erkennen und Infizierte isolieren und behandeln zu können. Dazu gehöre an Flughäfen und internationalen Bahnhöfen sowie Grenzübergängen die Untersuchung von Reisenden aus Regionen, die von Ebola betroffen sind.
Die Öffentlichkeit müsse ständig über die Entwicklung der Epidemie und geeignete Maßnahmen für den Selbstschutz informiert werden. "Regierungen sollten auch auf die Rückführung von Bürgern vorbereitet sein, die möglicherweise Ebola ausgesetzt waren, darunter zum Beispiel medizinisches Personal", heißt es weiter. Alle Staaten sind verpflichtet, jedweden Erkrankungsfall, bei dem auch nur ein Anfangsverdacht auf Ebola besteht, der WHO zu melden und umgehend entsprechende Tests durchzuführen.
Die Regierungen der direkt betroffenen Länder wurden von der WHO aufgerufen, wo noch nicht geschehen umgehend den nationalen Notstand zu erklären. Alle Ressourcen seien vordringlich auf die Eindämmung der Epidemie zu richten. Die gesamte Bevölkerung müsse alarmiert und in den Kampf gegen den Ausbruch einbezogen werden. Zugleich wird die internationale Gemeinschaft aufgerufen, die betroffenen Staaten umfangreich zu unterstützen - mit Geld, Medikamenten, medizinischen Einrichtungen und Fachkräften.
Von der Ebola-Epidemie sind derzeit Guinea, Liberia, Sierra Leone und Nigeria betroffen, den Notstand haben bisher nur Liberia und Sierra Leone ausgerufen. Es ist erst das dritte Mal, dass die WHO-Seuchenexperten für die Ausrufung eines Internationalen Gesundheitsnotfalls stimmten. Im Mai 2014 hatte die WHO wegen der Ausbreitung von Polio in Pakistan und Afghanistan zu dieser Maßnahme gegriffen, zuvor 2009 wegen der Ausweitung der Schweinegrippe.
Guinea, Liberia, Sierra Leone und Nigeria im Überblick
Guinea hat zwar reiche Vorkommen an Bodenschätzen wie Gold, Diamanten oder Bauxit. Korruption, verwahrloste Infrastruktur und politische Unsicherheit verhindern jedoch bessere Lebensbedingungen für die Bevölkerung. Auch angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ist die wirtschaftliche Lage der etwa 11,5 Millionen Einwohner vor allem in ländlichen Gebieten katastrophal. Die Lebenserwartung in der ehemaligen französischen Kolonie liegt bei knapp 60 Jahren. In dem 246.000 Quadratkilometer großen Land gibt es außerhalb der Hauptstadt Conakry nur wenige geteerte Straßen. Wichtigster Wirtschaftszweig ist der Bergbau.
Liberia ist das erste afrikanische Land mit einer demokratisch gewählten Präsidentin. Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson-Sirleaf ist seit Januar 2006 im Amt. Der Bürgerkrieg von 1989 bis 2003 hat die Infrastruktur des 111.000 Quadratkilometer großen Landes weitgehend zerstört. Mittlerweile ist es der neuen Regierung gelungen, die Armut der gut vier Millionen überwiegend christlichen Einwohner durch wirtschaftliche Reformen zu mindern. Eine Herausforderung bleibt die hohe Arbeitslosigkeit, vor allen unter Jugendlichen. Zu den reichen Rohstoffvorkommen gehören Gummi, Gold und Tropenholz.
Sierra Leone exportiert vor allem Diamanten, Kaffee und Kakao, muss aber Industriegüter und Nahrungsmittel einführen. Trotz großer wirtschaftlicher Fortschritte seit dem Ende des Bürgerkrieges 2002 zählen Jugendarbeitslosigkeit sowie die Sterblichkeit von Kindern und Müttern weiter zu den drängendsten Problemen in dem kleinen westafrikanischen Staat (knapp 72.000 Quadratkilometer). Die Lebenserwartung der rund 5,7 Millionen überwiegend muslimischen Einwohner liegt bei nur gut 57 Jahren. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Analphabeten.
Nigeria hat mit mehr als 170 Millionen Einwohnern die mit Abstand größte Bevölkerung Afrikas. Leben im Norden vorwiegend Muslime, ist der Süden stärker christlich geprägt. Lagos, neben Ägyptens Hauptstadt Kairo die bevölkerungsreichste Stadt des Kontinents, wächst so rasch wie nur wenige andere Metropolen. Schätzungen gehen von derzeit 10 bis 12 Millionen Einwohnern aus. Mehr als die Hälfte von ihnen leben in Elendsvierteln. Dank seiner enormen Ölvorkommen ist Nigeria der wichtigste Ölexporteur des Kontinents. Dennoch leben mehr als die Hälfte der Nigerianer in extremer Armut, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei nur gut 52 Jahren.
Von Thomas Burmeister, dpa - Bild: Alain Grosclaude/AFP