Nach dem Scheitern einer Waffenruhe hat Israel mindestens eine Viertelmillion Menschen im nördlichen Gazastreifen aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Am Mittwoch weitete die israelische Armee ihre Angriffe aus und bombardierte unter anderem die Wohnhäuser mehrerer Hamas-Führer in dem Palästinensergebiet.
Automatisierte Telefonanrufe, Flugblätter und SMS-Kurznachrichten riefen die Palästinenser auf, die Gegenden um Beit Lahia, Sadschaija und Saitun zu verlassen. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, habe das israelische Militär am Mittwoch außerdem Gebiete im Norden des Gazastreifens mit Artillerie beschossen, bestätigte eine Armeesprecherin.
Das Innenministerium in Gaza warnte die Palästinenser nach Medienberichten jedoch, dem Aufruf Folge zu leisten. Die Nachricht der Israelis solle nur «Chaos und Verwirrung stiften», hieß es demnach in einer Mitteilung. Dennoch hatten bis zum Nachmittag rund 21.000 Menschen in Schulen des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) Schutz gesucht.
Weiter Raketen auf Israel abgefeuert
Auch am Mittwoch feuerten militante Palästinenser weiter Raketen auf Israel. Insgesamt seien seit Mitternacht 42 Raketen auf Israel geschossen worden, teilte das Militär mit. Bei einem Angriff mit Mörsergranaten auf den Eres-Grenzübergang war am Dienstag erstmals ein Israeli getötet worden.
Die israelische Armee griff am Mittwoch 75 Ziele im Gazastreifen an. Ob Israel Bodentruppen in den Gazastreifen entsenden wird, ist noch immer unklar. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte für Mittwoch eine Intensivierung der Angriffe gegen die radikal-islamische Hamas angekündigt. Eine zuvor von Ägypten vorgeschlagene Waffenruhe war gescheitert, nur Israel hatte sich daran gehalten. Netanjahu hatte der Hamas am Dienstagabend vorgeworfen, Israels einseitige Feuerpause zu ignorieren. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die Hamas auf, sich an die von Ägypten vorgeschlagene Waffenruhe zu halten.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte, Israel greife nicht nur «legitime militärische Ziele» an und gefährde damit unverhältnismäßig viele Zivilisten. Derartige Angriffe seien völkerrechtswidrig und müssten beendet werden. Die israelische Armee widerspricht dieser Darstellung. Jeder Angriff werde vorab juristisch geprüft, sagt Militärsprecher Arye Shalicar. Außerdem unternehme die israelische Armee alles Mögliche, um den Tod Unbeteiligter zu verhindern.
Israel greift Häuser von Hamas-Führern an
Nach dem Scheitern einer Waffenruhe in Nahost hat die israelische Luftwaffe Häuser von politischen Führern der im Gazastreifen herrschenden Hamas angegriffen. Unter anderem seien die Wohnhäuser der Hamas-Führer Mahmud al-Sahar und Fathi Hammad sowie der weiblichen Hamas-Abgeordneten Dschamila al-Schanti bombardiert worden, teilte die radikal-islamische Organisation am Mittwoch mit. Auch das Haus von Bassem Naim, einem Berater von Hamas-Führer Ismail Hanija, sei getroffen worden. Eine Armeesprecherin in Tel Aviv sagte, man prüfe die Berichte.
Bisher hatte Israel vor allem die Häuser von militanten Hamas-Mitgliedern beschossen. Die neuen Angriffe zeigten "den Zustand der Verwirrung der israelischen Regierung und des Militärs, nachdem es ihnen nicht gelungen ist, den palästinensischen bewaffneten Widerstand zu brechen", hieß es in der Hamas-Mitteilung.
Über 200 Tote
Die Zahl der Toten bei israelischen Luftangriffen stieg am Mittwoch auf 208, wie der Sprecher der örtlichen Rettungsdienste, Aschraf al-Kidra, über Twitter mitteilte. 1550 Menschen seien seit Beginn der Offensive am 8. Juli verletzt worden.
Der Konflikt gefährdet auch die Stromversorgung der Bevölkerung in dem Palästinensergebiet am Mittelmeer. Aus dem Gazastreifen abgefeuerte Raketen hätten eine Stromleitung beschädigt, berichtete der israelische Rundfunk. Damit sei bereits die zweite von insgesamt zehn Leitungen getroffen worden, die die Stromversorgung des Gazastreifens gewährleisteten. Nach der Beschädigung der ersten Leitung hieß es, 70.000 Palästinenser seien von der Stromversorgung abgeschnitten.
Inmitten des eskalierenden Gaza-Konflikts entließ Netanjahu den stellvertretenden Verteidigungsminister Danny Danon. Anlass war laut einem Bericht der «Jerusalem Post» die Kritik des Politikers der rechten Regierungspartei Likud an der einseitigen Feuerpause Israels. Danon hatte dies einen «Schlag ins Gesicht» für alle israelischen Bürger genannt.
Der ehemalige israelische Geheimdienstchef Efraim Halevy riet seiner Regierung zu Verhandlungen mit der in Gaza herrschenden Hamas. «Die Hamas ist zweifellos eine sehr schlechte Option», sagte er dem US-Sender CNN. «Aber es gibt schlimmere Optionen als Hamas», fügte der Ex-Mossad-Chef mit Blick auf die sunnitischen IS-Milizen hinzu. Die IS-Milizen, die derzeit in Syrien und im Irak auf dem Vormarsch sind, «strecken ihre Fühler nach dem Gazastreifen aus», warnte Halevy.
Auslöser der jüngsten Eskalation der Gewalt waren die Entführung und Ermordung von drei israelischen Teenagern und der mutmaßliche Rachemord an einem palästinensischen Jungen. Eine 2012 vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas, die seit 2007 im Gazastreifen herrscht, wurde daraufhin endgültig Makulatur.
Frankreich schlägt EU-Mission vor
Frankreich hat eine europäische Mission an den Grenzübergängen zwischen dem Gazastreifen und Israel vorgeschlagen, um eine dauerhafte Feuerpause zu erreichen.
Nach Aussage des französischen Außenministers Laurent Fabius haben die arabischen Länder bereits ihre Unterstützung signalisiert. Jetzt müssten noch die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zustimmen, sagte Fabius.
br/dpa/cd/mh - Bild:Mahmud Hams (afp)