Im Gaza-Konflikt ist trotz zunehmender Opferzahlen und internationaler Friedensappelle kein Ende des Blutvergießens in Sicht. Knapp eine Woche nach Beginn ihrer Offensive weitete die israelische Armee am Sonntag ihren Einsatz gegen militante Palästinenser noch aus. Erstmals drangen Elitesoldaten in den Gazastreifen am Mittelmeer ein. Israels Streitkräfte bombardierten als Reaktion auf den ständigen Raketenbeschuss seit Dienstag massiv Ziele aus der Luft. Die Zahl der Opfer stieg praktisch stündlich - auf zuletzt mindestens 166 Tote und 1120 Verletzte.
Die internationalen Bemühungen um eine Waffenruhe nahmen angesichts der Zuspitzung an Fahrt auf. Noch am Sonntag wollten die Außenminister Deutschlands, der USA, Großbritanniens und Frankreichs am Rande der Iran-Atomgespräche in Wien zusammentreffen. "Es ist dringend nötig, die Gewalt zu beenden und den Waffenstillstand vom November 2012 wieder herzustellen", sagte der britische Ressortchef William Hague in der österreichischen Hauptstadt.
Die Arabische Liga berief für Montag eine Dringlichkeitssitzung in Kairo ein. Der UN-Sicherheitsrat in New York kommt am selben Tag erneut zu einer Sondersitzung zusammen.
Abschussrampen zerstören
Die israelischen Elitesoldaten landeten in der Nacht zum Sonntag an der Küste des Gazastreifens, um besonders häufig genutzte Abschussrampen der radikal-islamischen Hamas zu zerstören. Von dort sollen Raketen mit größerer Reichweite auf Israel abgefeuert worden sein. Dabei lieferten sich die Kampfschwimmer einen Schusswechsel mit Kämpfern der Palästinensern, vier Soldaten wurden verletzt.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hält sich die Option einer größeren Bodenoffensive offen, sollte der Beschuss aus dem Gazastreifen nicht aufhören.
Israels Streitkräfte haben seit Beginn der Offensive nach eigenen Angaben 1320 Ziele in der Mittelmeer-Enklave angegriffen. Gleichzeitig gingen demnach mehr als 800 Raketen der Hamas auf israelischem Gebiet nieder, rund 140 davon wurden von der Raketenabwehr abgefangen.
Israel stellt sich nach Angaben von Verteidigungsminister Mosche Jaalon auf "lange Tage des Kämpfens" ein. Der Gazastreifen ist flächenmäßig etwa so groß wie Köln, allerdings leben dort mit 1,8 Millionen Menschen beinahe doppelt so viele wie in der Stadt am Rhein.
Samstag verlustreichster Tag der Auseinandersetzungen
Der Samstag war mit rund 60 Toten für die Palästinenser der bislang verlustreichste Tag der jüngsten Auseinandersetzungen. Allein beim Angriff auf das Haus von Gazas Polizeikommandeur Taisir al-Batsch wurden mindestens 18 seiner Familienmitglieder getötet.
Auch am Sonntag hielt der gegenseitige Beschuss an. Die israelische Luftwaffe bombardierte Ziele im nördlichen Teil des Gazastreifens. Es habe Angriffe in Dschabalia und in Beit Lahia gegeben, bestätigte eine Armeesprecherin. Die Armee hatte die Menschen zuvor mit Flugblättern aufgerufen, ihre Häuser vorübergehend zu verlassen. Nach Militärangaben werden die meisten Raketen auf Israel aus dem nördlichen Teil des Gebiets abgefeuert. Militante Palästinenser nahmen derweil erneut den internationalen Flughafen Ben Gurion unter Beschuss.
Kinder und Frauen sind die Leidtragenden der Auseinandersetzungen. Netanjahu warf der Hamas vor, sie missbrauche Palästinenser als menschliche Schutzschilde. "Wir greifen die Hamas mit wachsender Härte an", sagte der Regierungschef während einer Kabinettssitzung in Jerusalem. "Aber man muss verstehen, wie unser Feind agiert. Wer versteckt sich in Moscheen? Die Hamas. Wer versteckt Waffen unter Krankenhäusern? Die Hamas. Wer verlegt Kommandozentren in Wohnhäuser oder in die Nähe von Kindergärten? Die Hamas." Die Organisation stürze die Zivilisten ins Unglück und sei verantwortlich für den Verlust menschlichen Lebens.
Abbas fordert internationalen Schutz für Palästinenser
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas forderte seinerseits internationalen Schutz für die Palästinenser. In einem Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon wolle er darum bitten, "den Staat Palästina offiziell dem internationalen UN-Schutzprogramm zu unterstellen", teilte die Politikerin Hanan Aschrawi mit. In mehreren deutschen Städten demonstrierten Tausende gegen die israelischen Angriffe.
Die Bemühungen um einen Nahost-Frieden unter amerikanischer Vermittlung waren im April gescheitert. Auslöser der jüngsten Eskalation der Gewalt waren die Entführung und Ermordung von drei israelischen Teenagern und der mutmaßliche Rachemord an einem palästinensischen Jungen. Eine 2012 vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas, die seit 2007 im Gazastreifen herrscht, wurde daraufhin endgültig Makulatur.
Papst ruft zu Frieden im Nahen Osten auf
Papst Franziskus hat mit einem eindringlichen Appell zu Frieden im Nahen Osten aufgerufen. "Mit Blick auf die tragischen Ereignisse der letzten Tage richte ich an alle den sorgenvollen Appell, weiter intensiv für den Frieden im Heiligen Land zu beten", sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche am Sonntag nach dem Angelus-Gebet vor Tausenden Pilgern auf dem Petersplatz. "Ich ermahne die Konfliktpartner und alle politisch Verantwortlichen, (...) keine Mühen zu scheuen, um die Gewalt zu beenden."
Der 77-Jährige erinnerte auch an sein Friedensgebet mit Israels Staatschef Schimon Peres und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas vor gut einem Monat im Vatikan. "Manch einer könnte denken, dass dieses Treffen umsonst gewesen sei", erklärte Franziskus. "Dies ist aber nicht so, denn das Gebet hilft uns, sich nicht vom Bösen besiegen zu lassen und nicht damit abzufinden, wenn Gewalt und Hass die Übermacht über Dialog und Versöhnung gewinnen."
Anschließend betete der Pontifex gemeinsam mit den Pilgern für den Frieden. "Nun hilf du uns, Herr! Gib uns den Frieden", bat er. "Öffne unsere Augen und unsere Herzen und gib uns den Mut zu sagen: "Nie wieder Krieg!", "Mit dem Krieg ist alles zerstört!""
Proteste gegen Luftangriffe in Antwerpen
In Antwerpen hat es gestern Abend Proteste gegen die israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen gegeben. Mehrere hunderte Teilnehmer forderten bei der Kundgebung auf dem Sint-Jansplein eine Ende der Gewalt im Gazastreifen. In Frankfurt am Main kam es zu Auschreitungen zwischen Demonstranten und der Polizei nach einer zunächst friedlichen Kundgebung. Proteste gab es auch in London, Paris und Oslo.
dpa/mh/rkr - Bild: Thomas Coex (afp)