Die Zahl der Toten bei dem verheerenden Grubenunglück in der Türkei ist nach Angaben der Regierung auf 282 gestiegen. In den vergangenen zwölf Stunden seien aus dem Kohlebergwerk Soma keine Kumpel mehr lebend geborgen worden, sagte Energieminister Taner Yildiz am Donnerstag nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu.
Der größte türkische Gewerkschaftsbund Türk-Is hat seine Mitglieder nach dem verheerenden Grubenunglück zur Niederlegung der Arbeit an diesem Donnerstag aufgerufen. Gewerkschafter sollten stattdessen am Arbeitsplatz der mehr als 280 Bergleuten gedenken, die bei dem Unglück vom Dienstag an der Zeche Soma ums Leben kamen, teilte Türk-Is am Mittwoch mit. Der Gewerkschaftsbund sprach im Zusammenhang mit der Katastrophe vom größten "Mord" am Arbeitsplatz in der Geschichte der türkischen Republik, gegen den protestiert werden müsse. Bei Türk-Is sind 35 Einzelgewerkschaften organisiert.
Heftige Proteste
Die Bergbau-Katastrophe mit mindestens 282 Toten löste bereits am Mittwoch in der Türkei heftige Proteste gegen die Regierung aus. Die Polizei ging am Mittwoch in Ankara und Istanbul mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Demonstranten vor. Die Demonstranten in Istanbul forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung wegen des Unglücks. Einige hielten Plakate in die Höhe, auf denen stand: "Kein Unfall - Mord". Die Polizei hinderte die Demonstranten daran, weiter in Richtung des zentralen Taksim-Platzes vorzudringen.
In Ankara hatten Hunderte Demonstranten am Nachmittag versucht, zum Energieministerium vorzudringen. Die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, aus den Reihen der Demonstranten seien Molotow-Cocktails und Steine geworfen worden. Die Sicherheitskräfte hätten über Megafon auf die von der Regierung verfügte Staatstrauer für die Opfer der Katastrophe hingewiesen.
Energieminister Taner Yildiz sagte in Soma, die Hoffnung schwinde, noch Überlebende zu retten: "Es ist schlimmer, als zunächst erwartet." Zum Zeitpunkt des Unglücks am Dienstagnachmittag seien 787 Arbeiter in der Zeche gewesen. 1992 waren beim bislang schwersten Unglück in einem Bergwerk in der Türkei 263 Menschen ums Leben gekommen.
In Soma hatte Medienberichten zufolge ein elektrischer Defekt in einem Trafo zunächst eine Explosion und dann einen Brand verursacht, der nach Angaben von Yildiz in 150 Metern Tiefe ausbrach. Wegen des Unglücks rief die Regierung eine dreitägige Staatstrauer aus. Im ganzen Land und an den türkischen Vertretungen im Ausland wurden die Flaggen auf halbmast gesetzt.
Ministerpräsident Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül sagten wegen des Unglücks Auslandsreisen ab. Erdogan besuchte den Unglücksort am Mittwoch. Türkische Medien berichteten, die Regierungspartei AKP habe im vergangenen Monat Forderungen der Opposition zurückgewiesen, die Sicherheitsvorkehrungen an der Zeche Soma zu überprüfen. Die Bergwerksgesellschaft teilte mit, die letzten Sicherheitsüberprüfungen habe es vor zwei Monaten gegeben.
Das Grubenunglück in der Türkei löste weltweit Trauer aus. Mehrere Länder boten der Türkei Hilfe an. Darunter waren auch Israel und Griechenland, deren Verhältnis zur Türkei angespannt ist. In der Türkei kommt es immer wieder zu tödlichen Grubenunfällen. Mehrfach gab es in den vergangenen Jahren Verstöße gegen Sicherheitsregeln oder es wurden veraltete Arbeitsgeräte eingesetzt.
Türkische Gemeinschaft in Belgien trauert
Auch im türkischen Viertel im Brüsseler Stadtteil Saint-Josse trauern die Menschen. Die türkische Gemeinschaft in Belgien umfasst rund 250.000 Menschen, Einwanderer sowie deren Kinder und Kindeskinder. Viele davon leben in Brüssel und Antwerpen, aber auch in Charleroi, Lüttich und in der Provinz Limburg, da, wo früher Kohle abgebaut wurde. Nach den Italienern sind vor 50 Jahren auch Türken als Gastarbeiter nach Belgien gekommen und haben untertage gearbeitet. Das schwere Unglück in ihrer Heimat ist für sie deshalb umso schmerzhafter.
"Egal ob das Unglück in Russland, China, der Türkei oder Belgien passiert: Wir Kumpel bilden eine Klicke", sagt Yldiz Huseyn - ein ehemaliger Bergbauarbeiter aus Beringen. Er leide derzeit doppelt: als Kumpel und als Türke.
In Belgien weckt das schwere Unglück schmerzhafte Erinnerungen an die Tragöde vom „Bois du Cazier“. Im Sommer 1956 brach im Kohlebergwerk von Marcinelle bei Charleroi untertage ein Feuer aus. 252 Kumpel kamen damals ums Leben. Die Mine von Marcinelle wurde zwei Jahre nach dem Unglück geschlossen.
Bei den Türken und türkischstämmigen in Belgien überwiegt im Moment die Trauer. Über die wenig taktvollen Worte von Ministerpräsident Erdogan wollen sie lieber nichts sagen. Der Mann spaltet auch hierzulande die türkische Gemeinschaft.
dpa/alksh - Bild: Adem Altan (afp)