Guy Verhofstadt kandidiert bei der Europawahl gemeinsam mit den anderen Spitzenkandidaten der großen Parteienfamilien für einen der wichtigsten Posten in der EU kandidiert - den Vorsitz der Europäischen Kommission. Bereits Ende Juni müssen die Regierungschefs einen Nachfolger für den bisherigen Kommissionspräsidenten José-Manuel Barroso vorschlagen.
Diesmal ist alles anders: Laut EU-Vertrag sind die Regierungschefs verpflichtet, auch die Ergebnisse der Europawahl zu berücksichtigen. Das würde im Idealfall bedeuten, dass der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion im Parlament auch Kommissionspräsident wird. Allerdings dreht sich diesmal alles um die Frage: was bedeutet ‚berücksichtigen‘? Darüber streitet man derzeit in Brüssel.
Der Politikwissenschaftler Jannis Emmanouilidis vom European Policy Centre schätzt die Lage folgendermaßen ein: „Es gibt das Europäische Parlament […], das darin sieht, dass es eine direkte Verbindung gibt zwischen dem Ausgang der Wahlergebnisse und der Bestimmung des nächsten Kommissionspräsidenten. Es gibt aber auch andere, vor allem Regierungschefs […], die der Ansicht sind, dass es keinen Automatismus gibt […]. Dass man natürlich den Ausgang der Wahlen berücksichtigt, aber dass das nicht unbedingt bedeutet, dass derjenige, der eine relative Mehrheit im Parlament hat, auch automatisch Präsident der Europäischen Kommission werden soll."
Jannis Emmanouilidis schließt daher auch nicht aus, dass es zwischen den europäischen Institutionen zu einem offenen Konflikt kommt: „Also da gibt es unterschiedliche Interpretationen und dieser Interpretationsspielraum kann auch dazu führen, dass es zu institutionellen Verwerfungen kommt zwischen dem Europäischen Rat, den Staats- und Regierungschefs, die eine Version der Dinge im Kopf haben, und dem Europäischen Parlament, das eine andere Version der Dinge im Kopf hat."
Es ist nicht auszuschließen, dass der Europäische Rat am Ende seinen Willen durchsetzt. Guy Verhofstadt hat den Machtpoker der Regierungschefs bereits zu spüren bekommen: Zweimal, 2004 und 2009, wurde er als Kandidat für den Kommissionsvorsitz gehandelt. Beide Male machte ihm London einen Strich durch die Rechnung."
Das droht jetzt auch den beiden Spitzenkandidaten Martin Schulz und Jean-Claude Juncker. Allen voran will der britische Premier und EU-Skeptiker David Cameron verhindern, dass einer der beiden Kandidaten zum Zuge kommt. Jean-Claude Juncker fürchtet deshalb um die Glaubwürdigkeit der Europawahl: „Man sagt den europäischen Bürgern, wenn die Sozialisten die Wahl gewinnen, dann wird Herr Schulz Kommissionspräsident, wenn die EVP die Wahlen gewinnt, dann wird Jean-Claude Juncker das. Wenn das nachher anders käme, dann stelle ich mir die Frage, ob die Menschen, die schon nicht in Massen zu den Urnen schreiten [...] nächstes Mal in 2019 überhaupt noch zur Europawahl gehen.“
Noch lächeln sie von Athen bis Dublin von den Wahlplakaten, die Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten bei der Europawahl. Ob ihnen auch nach dem 25. Mai noch dazu zumute ist, ist fraglich. Neben den Bürgern haben das auch die Regierungschefs in der Hand.
Bild: Goerges Gobet (afp)