Unmittelbar vor dem umstrittenen Separatisten-Referendum im Osten der Ukraine stürzen neue Kämpfe das Land tiefer in die Krise. Der russische Präsident Wladimir Putin provoziert zugleich mit einem Besuch auf der annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim.
In den ostukrainischen Regionen Donezk und Lugansk ist den Behörden die Kontrolle trotz einer "Anti-Terror-Operation" der Armee weitgehend entglitten. Prorussische Separatisten riefen dort zwei "Volksrepubliken" aus. Mehr als drei Millionen Menschen in diesen beiden russisch geprägten Gebieten sollen am Sonntag entscheiden, ob sie eine Abspaltung vom Rest des Landes unterstützen. Gestellt wird die Frage nach einer staatlichen Eigenständigkeit der Region.
Die Europäische Union und die USA lehnen die Abstimmung ab, ebenso die Vertreter der Zentralregierung in Kiew. Sie setzen vielmehr auf die Präsidentenwahl am 25. Mai, um den Konflikt zu entschärfen. Doch neue blutige Zusammenstöße mit mehreren Toten heizen die Stimmung vor der für Sonntag geplanten Volksbefragung weiter auf. Nach Angaben der Behörden starben am Freitag bei Gefechten in Mariupol mindestens sieben Menschen, knapp 50 wurden verletzt. Ursprünglich waren mindestens 20 Tote gemeldet worden. Auch aus Donezk gab es Berichte über ein Gefecht, bei dem mehrere Menschen verletzt worden seien.
Rotes-Kreuz-Mitarbeiter in Donezk wieder auf freiem Fuß
Neun in Donezk festgehaltene Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) sind wieder frei. Prorussische Kräfte hätten das Vorhaben der acht Ukrainer und eines Schweizers in der ostukrainischen Großstadt kontrolliert und sie bald freigelassen, sagte IKRK-Sprecher David Pierre Marquet der Nachrichtenagentur dpa am Samstag.
Die Mitarbeiter hätten Medikamente und persönliche Dinge behalten. Sie würden nun in der unruhigen Region ihre humanitäre Arbeit aufnehmen und eine "medizinische Einschätzung" vorbereiten.
Allen Mäßigungsappellen zum Trotz ordnete die Regierung in Kiew indes an, dass ihre Soldaten die Separatisten weiter bekämpfen sollen. Übergangspräsident Alexander Turtschinow und Ministerpräsident Arseni Jazenjuk lehnten eine Beteiligung der Separatisten an Gesprächen etwa an einem Runden Tisch erneut ab.
Separatisten beharren auf Volksbefragung
Ungeachtet einer Bitte Putins um Verschiebung beharren die Separatisten auf der Volksbefragung. War die Forderung des Kremlchefs noch positiv gewertet worden, so trat dieser nun wieder aggressiver gegenüber Kiew und dem Westen auf: Im Anschluss an die traditionelle Militärparade in Moskau zum Tag des Sieges über Nazi-Deutschland reiste er demonstrativ auf die abtrünnige ukrainische Krim, die Russland im März annektiert hatte. Dort nahm er eine Parade von zehn Kriegsschiffen sowie 70 Kampfflugzeugen und Hubschraubern ab. Die USA kritisierten Putins Krim-Besuch als "provokativ und unnötig", Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nannte ihn "unangemessen".
Polens Präsident forderte insbesondere von Deutschland eine klarere Haltung. "Ich habe wenig Verständnis für die Art, wie manche in Deutschland heute auf Russland schauen. Es entsteht der Verdacht, dass manche Politiker in Deutschland einen Weg in der Außenpolitik suchen, der für uns Polen schwer zu akzeptieren ist", sagte Komorowski der "Bild"-Zeitung (Samstag). Sein Land wünsche sich von der Bundesregierung mehr Entschlossenheit, um den Ukraine-Konflikt zügig beizulegen - "damit Europa und seine Nachbarn auch in Zukunft ohne Angst leben können".
Trotz erster Erfolge der Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland stelle sich die Frage, "ob wir nicht mehr tun müssen. Es ist besser, das Feuer jetzt zu löschen, als zu warten, bis sich der Flächenbrand auf andere Staaten ausdehnt."
Merkel und Hollande fordern nationalen Dialog in der Ukraine
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande haben die Konfliktparteien in der Ukraine aufgerufen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und freie Wahlen zu ermöglichen. Zum Abschluss ihres Treffens in Stralsund verurteilten sie das für diesen Sonntag geplante Referendum prorussischer Separatisten zur Abspaltung der Ostukraine erneut als unrechtmäßig.
Von zentraler Bedeutung sei jetzt, dass es am 25. Mai freie und faire Wahlen in der Ukraine gebe, betonte Merkel am Samstag. Dafür müsse es einen Verhaltenskodex geben. "Wir setzen alles daran, dass die Deeskalation vorankommt." Nötig sei ein nationaler Dialog. Hollande betonte: "Unsere Forderung ist, dass es eine Präsidentschaftswahl gibt am 25. Mai, die nicht mehr kritisierbar ist."
In ihrer Abschlusserklärung drohen Deutschland und Frankreich mit einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland, falls die Wahlen nicht stattfinden können. "Fänden keine international anerkannten Präsidentschaftswahlen statt, würde dies das Land unausweichlich weiter destabilisieren", heißt es darin. Deutschland und Frankreich stimmten überein, dass in diesem Fall die Konsequenzen zu ziehen seien, die der Europäische Rat am 6. März 2014 vorgesehen habe.
Der EU-Gipfel hatte damals erste Sanktionen gegen Russland beschlossen und gedroht, schärfere Strafmaßnahmen wie Einreiseverbote, Kontensperrungen und im Extremfall auch wirtschaftliche Sanktionen verhängen, falls sich Russland Verhandlungen zur Lösung des Krise verweigere.
dpa/jp - Bild: Anatolii Stepanov (afp)