Neue Eskalation in der Ukraine-Krise: Bei einem "Anti-Terror-Einsatz" gegen prorussische Separatisten im Osten des Landes sind nach offiziellen Angaben mehrere Menschen getötet und verletzt worden.
Die prowestliche Führung in Kiew befahl erstmals das Vorrücken von Spezialeinheiten, nachdem bewaffnete Gruppen in der Stadt Slawjansk mehrere Verwaltungsgebäude besetzt hatten.
Auf Regierungsseite sei mindestens ein Offizier getötet worden, fünf weitere Menschen seien verletzt worden, sagte Innenminister Arsen Awakow am Sonntag. Auf der Gegenseite habe es eine unbekannte Zahl an Opfern gegeben.
Die Aktivisten hätten ohne Vorwarnung das Feuer auf die Regierungskräfte der Ex-Sowjetrepublik eröffnet. Awakow warf den Separatisten vor, Zivilisten als lebende Schutzschilde zu missbrauchen. Detaillierte unabhängige Berichte gab es zunächst nicht. Augenzeugen zufolge stand Rauch über der Stadt - die Demonstranten hätten Barrikaden aus Autoreifen angezündet, hieß es. Schützenpanzer der Regierungseinheiten versperrten Zufahrten. Über der Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern kreisten Militärhubschrauber.
Ein Sprecher der Separatisten sagte dem russischen Staatsfernsehen, die Aktivisten würden nicht aufgeben. Awakow rief Zivilisten auf, "sich aus dem Stadtkern zurückzuziehen, ihre Wohnungen nicht zu verlassen und den Fenstern fern zu bleiben". Kiew wirft Russland offen "Aggression" in der russisch geprägten Region vor. Moskau wolle das Gebiet durch bezahlte Provokateure destabilisieren und dann dort einmarschieren.
Rasmussen "äußerst beunruhigt"
Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies dies mit Nachdruck zurück. Er warnte bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry, ein gewaltsames Eingreifen der Regierung in Kiew gefährde ein für Donnerstag in Genf geplantes Treffen von russischen, ukrainischen, US- und EU-Vertretern. Die Nato forderte Moskau zur Beruhigung der Lage auf. "Ich bin äußerst beunruhigt über die weitere Eskalation der Spannung in der Ostukraine", erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.
Männer mit russischen Spezialwaffen und in Uniformen ohne Abzeichen erinnerten an das Auftreten russischer Truppen bei der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim - das sei eine schwerwiegende Entwicklung. Moskau müsse seine Truppen, zu denen auch Spezialeinheiten gehörten, von der ukrainischen Grenze zurückziehen, forderte der Nato-Chef.
Die USA drohten Russland mit weiteren Konsequenzen, sollte es keine Schritte zur Deeskalierung in der Ostukraine unternehmen. Außenminister Kerry sprach nach Angaben eines hohen Beamten seines Ministeriums in einem Telefonat mit seinem Moskauer Kollegen Lawrow von "abgestimmten" Aktionen Militanter in der Ostukraine, die mit speziellen russischen Waffen ausgerüstet gewesen seien. Auch Kerry zog Parallelen zu den Vorgängen auf der Krim vor der Annexion.
In Jenakijewo, dem Heimatort des entmachteten und nach Russland geflohenen Präsidenten Viktor Janukowitsch, brachten Separatisten am Sonntag mit Polizeizentrale und Stadtrat weitere Gebäude in ihre Gewalt. Am Samstag hatten bewaffnete Angreifer in Kampfanzügen die Kontrolle über die Polizeizentrale und den Sitz des Geheimdienstes in Slawjansk übernommen. Auch in anderen Orten der Region Donezk halten Demonstranten Verwaltungsgebäude besetzt.
Seit Wochen fordern prorussische Gruppen eine Angliederung des Gebiets an Russland nach dem Vorbild der Halbinsel Krim oder zumindest ein Referendum über mehr Autonomie. Am kommenden Donnerstag wollen die USA, Russland, die Ukraine und die Europäische Union in Genf erstmals direkt miteinander beraten.
dpa/mh - Bild: Anatoliy Stepanov/AFP