In der russischsprachigen Ostukraine nimmt die Gewalt zu. Truppen des Innenministeriums räumten in der Millionenstadt Charkow am Dienstag ein von prorussischen Aktivisten besetztes Verwaltungsgebäude. Dabei nahmen sie 70 Menschen fest. Die Sicherheitskräfte hätten die Kontrolle übernommen, sagte Verwaltungschef Igor Baluta. Das Außenministerium in Moskau hatte zuvor in scharfen Worten vor einem Militäreinsatz gewarnt.
"Wir fordern, alle militärischen Vorbereitungen unverzüglich einzustellen, die einen Bürgerkrieg nach sich ziehen können", teilte das russische Außenamt mit. Die Rechte und Freiheiten sowie das Leben der Ukrainer seien stark gefährdet. Moskau hatte stets betont, notfalls seine Bürger im Nachbarland auch militärisch zu schützen, und fordert eine weitreichende Föderalisierung der Ex-Sowjetrepublik.
Die "Anti-Terror-Operation" gegen Separatisten in Charkow gehe weiter, betonte Verwaltungschef Baluta. Interimspräsident Alexander Turtschinow, der den Einsatz befohlen hatte, warf den prorussischen Aktivisten Waffeneinsatz vor. Drei Beamte seien verletzt worden, teilte Innenminister Arsen Awakow mit. Die prowestliche Regierung in Kiew wirft Russland vor, es wolle mit Hilfe bezahlter Provokateure die Lage destabilisieren.
Zusammenstöße in der Nacht
In der Nacht war es in Charkow zu Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern der Zentralregierung gekommen. Zehn Menschen seien verletzt worden, berichteten örtliche Medien. Moskautreue Kräfte riefen in der zweitgrößten Stadt des Landes - wie in der östlichen Großstadt Donezk - eine von Kiew unabhängige Volksrepublik aus und kündigten ein Referendum über die Zukunft des russischsprachigen Gebiets nach dem Vorbild der Schwarzmeerhalbinsel Krim an, die sich Russland vor einigen Wochen einverleibte.
Die Gebietsverwaltung in Donezk war zunächst weiter in der Hand moskautreuer Kräfte. In der Stadt Nikolajew wurden Berichten örtlicher Medien zufolge etwa 15 Menschen verletzt, als prorussische Aktivisten ein Verwaltungsgebäude attackierten. Etwa 20 Angreifer seien festgenommen worden.
Die ukrainische Führung wirft Russland vor, die Lage rund sieben Wochen vor der Präsidentenwahl am 25. Mai absichtlich zu destabilisieren und bezahlte Provokateure einzusetzen. Westliche Beobachter sprechen von der schwersten Krise in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Russland bekräftigt Bereitschaft zu Verhandlungen
Russland hat seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit der EU und den USA über die Zukunft der Ukraine bekräftigt. Wichtig sei es aber, dafür eine Tagesordnung und die Teilnehmer festzulegen, sagte Außenminister Sergej Lawrow der Agentur Interfax zufolge am Dienstag in Moskau. Auf dem Tisch liegen solle etwa eine neue ukrainische Verfassung. Zudem sprach sich Lawrow dafür aus, Vertreter aus der russischsprachigen Ost- und Südukraine sowie Kandidaten, die zur Präsidentenwahl am 25. Mai antreten, an dem Format zu beteiligen.
Moskaus Chefdiplomat bezweifelte nach einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry, dass ein von den Amerikanern in zehn Tagen angestrebter Termin machbar sei. Lawrow kritisierte, dass der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk bereits bis zum 15. April eine neue Verfassung angekündigt habe - ohne Zeit für Diskussionen.
Ein neues Grundgesetz müsse die Interessen aller Regionen in der Ex-Sowjetrepublik berücksichtigen, betonte Lawrow. Diejenigen, die der neuen Führung in Kiew nicht vertrauten, dürften nicht einfach vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Russland hatte sich mehrfach für die Gründung einer ukrainischen Föderation ausgesprochen. Die proeuropäische Führung in Kiew lehnt dies ab, weil sie ein Auseinanderbrechen des Landes befürchtet.
Kerry verschärft Ton gegenüber Moskau
US-Chefdiplomat John Kerry verschärft in der Ukraine-Krise den Ton gegenüber Moskau. "Russische Provokateure und Agenten" seien in den Osten der Ukraine geschickt worden, um dort "Chaos zu erzeugen" und separatistische Tendenzen zu unterstützen, sagte Kerry am Dienstag vor Senatoren in Washington.
Dieses "plumpe" Vorgehen könnte dem Kreml als konstruierter Vorwand für ein militärisches Eingreifen wie auf der Halbinsel Krim dienen, sagte Kerry. Er fügte hinzu: "Niemand sollte sich davon täuschen lassen." Auch die prowestliche Führung in Kiew geht davon aus, dass die Russen mit Hilfe bezahlter Provokateure die Lage in der Ostukraine destabilisieren wollen.
John Kerry sagte, mit illegalen und illegitimen Bemühungen versuche Russland, die Ex-Sowjetrepublik zu destabilisieren. Weitere Sanktionen der USA seien deshalb auf dem Tisch - etwa in den Bereichen Energie, Banken und Bergbau.
dpa/est/mh - Foto: Alexander Khudoteply (afp)