In der Schweiz hat der Endspurt im Kampf um einen Mindestlohn begonnen, der mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland sein soll. "Für einen gesetzlichen Mindestlohn von 22 Franken werben wir jetzt mit einer flächendeckende Kampagne und vielen Aktionen", sagte der Sprecher des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), Ewald Ackermann, am Freitag der Nachrichtenagentur dpa. Das sind umgerechnet 18 Euro. Über die Initiative der Gewerkschaften stimmen die Eidgenossen am 18. Mai ab.
In Deutschland soll nach Plänen der großen Koalition ab 2015 ein Mindestlohn von 8,50 Euro gelten. Die weit höhere eidgenössische Lohnuntergrenze würde auch für die Tausenden von Beschäftigen gelten, die als Grenzgänger aus Deutschland in die Schweiz pendeln. "Dies ist eine verpflichtende Mindestgröße für jedes normale Arbeitsverhältnis", sagte Ackermann. Monatlich wären das 4000 Franken (3300 Euro). Rund 57.000 Arbeitnehmer aus Deutschland sind in der Schweiz als Grenzgänger beschäftigt - viele von ihnen bekommen allerdings bereits jetzt mehr als 22 Franken Stundenlohn.
Die Regierung und das Parlament sowie die Wirtschaftsverbände lehnen die Gewerkschaftsinitiative ab. "Auf dem Spiel stehen der liberale Arbeitsmarkt und die bewährte Sozialpartnerschaft", warnte der Chefökonom des Wirtschaftsverbandes Economiesuisse, Rudolf Minsch, zum Start der Gewerkschaftskampagne am Vortag. Die Annahme wäre "ein verheerendes Signal mit unabsehbaren Konsequenzen" für den Wirtschaftsstandort.
Der SGB argumentiert hingegen, dass die florierende Schweizer Wirtschaft sich die geforderte Lohnuntergrenze durchaus leisten könne. "In der Schweiz gibt es rund 330.000 Personen, die zu Löhnen unter 22 Franken pro Stunde arbeiten müssen", sagte SGB-Präsident Paul Rechsteiner. "Sie leisten tagtäglich qualifizierte Arbeit, ohne dass sie vom Lohn auch anständig leben könnten." Mieten und viele Preise in der Schweiz liegen deutlich über dem deutschen Niveau.
Warnung von Arbeitgebern zurückgewiesen
SGB-Chefökonom Daniel Lampart wies die Warnung von Arbeitgebern, wonach der geforderte Mindestlohn zur Vernichtung von Jobs führen würde, als "Panikmache" zurück. Falsch sei auch, dass durch einen im Vergleich zum Ausland hohen Mindestlohn die Zuwanderung von Arbeitskräften steigen würde. "Mindestlöhne sorgen vielmehr dafür, dass die Arbeitgeber nicht billige Arbeitskräfte aus dem Ausland holen können - auf Kosten derjenigen, die bereits hier wohnen." Ein Ja zur Mindestlohn-Initiative sei daher "der beste Schutz gegen Lohndumping", heißt es in einer SGB-Mitteilung. "Anständig zahlende Arbeitgeber müssen sich nicht vor unlauterer Konkurrenz fürchten."
Die Schweizer Regierung bekannte sich in ihrer Stellungnahme zwar zum "Ziel, Armut und Lohndumping zu bekämpfen". Eine gesetzliche Lohnuntergrenze sei aber das falsche Mittel. Einfache Tätigkeiten würden dadurch erheblich verteuert, womit die Gefahr bestehe, "dass diese Arbeitsplätze verschwinden".
Die Regierung riet dringend, bei der bisherigen Schweizer Praxis zu bleiben, die Löhne entweder individuell oder kollektiv zwischen den Sozialpartnern auszuhandeln. "Diese kennen die Situationen ihrer Branchen und Unternehmen sehr genau und sind somit besser in der Lage, angemessene Mindestlöhne zu bestimmen."
Die Chancen für eine Annahme der Mindestlohn-Initiative waren zum Start des Abstimmungskampfes noch weitgehend unklar. Nachdem die Gewerkschaften ihre Initiative seinerzeit eingereicht hatten, sprachen sich bei einer Umfrage im März 2013 mehr als 70 Prozent der Teilnehmer dafür aus. Zu der Zeit waren die Argumente der Gegner allerdings noch kaum bekannt. Aktuelle Umfragewerte liegen derzeit nicht vor.
dpa/fs