Nach dem Umsturz in der Ukraine sind die neuen Machthaber zerstritten: Trotz eines drohenden Staatsbankrotts konnten sich die bisherigen Oppositionsgruppen auf keine Übergangsregierung einigen. Das Parlament verschob eine für Dienstag geplante Abstimmung auf Donnerstag. Die neue Führung ist vor allem uneins darüber, welches Mitspracherecht die Aktivisten vom Unabhängigkeitsplatz (Maidan) bekommen sollen. Oppositionspolitiker Vitali Klitschko bekräftigte, dass er Staatschef der Ex-Sowjetrepublik werden will.
Drei Tage nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch forderte das Parlament in Kiew den Internationalen Strafgerichtshof auf, dem entmachteten Präsidenten wegen der Polizeigewalt gegen Demonstranten den Prozess zu machen. Das Den Haager Tribunal müsse die Verantwortlichen für die "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" ermitteln, forderte die Oberste Rada.
Die Staatsanwaltschaft in Kiew schrieb den untergetauchten Janukowitsch zur Fahndung aus - wegen des Verdachts auf Massenmord. Bei den Straßenschlachten kamen Schätzungen zufolge fast 100 Menschen ums Leben, zudem gab es rund 2000 Verletzte.
Die Partei der früheren Regierungschefin Julia Timoschenko forderte erneut, Anführer der Straßenproteste in die künftige Regierung einzubinden. Die Maidan-Bewegung legte ihrerseits Bedingungen fest. "Jedes Kabinettsmitglied benötigt die Zustimmung des Maidan", hieß es in einer Erklärung an die Agentur Interfax.
So dürften die 100 reichsten Ukrainer keine Regierungsposten erhalten, betonten die Aktivisten. Notwendig seien auch mindestens sieben Jahre Berufserfahrung. Mitglieder der alten Regierung und der Präsidialkanzlei sollten keine Ämter erhalten.
Die Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen und zuständigen Komitees arbeiteten Tag und Nacht, sagte Übergangspräsident Alexander Turtschinow. Er forderte, spätestens Donnerstag müsse ein "Kabinett des nationalen Vertrauens" stehen. Arseni Jazenjuk von Timoschenkos Vaterlandspartei (Batkiwschtschina) kündigte an, es werde keine Hinterzimmerabsprachen geben. Der Ex-Außenminister gilt selbst als Kandidat.
Klitschko will Präsident werden
Drei Monate vor der für den 25. Mai geplanten Präsidentenwahl in der Ukraine begann die Registrierung der Kandidaten. Ex-Boxweltmeister Klitschko will antreten. "Ich bin völlig überzeugt davon, dass in der Ukraine die Spielregeln geändert werden müssen", sagte er. Es müsse Gerechtigkeit herrschen. "Ich weiß, dass dies möglich ist." Trotz der Kandidatur ist weiterhin denkbar, dass Klitschko auch einen Ministerposten in einer künftigen Übergangsregierung übernimmt.
Auch Timoschenko, die mal mit und mal ohne ihren folkloristischen Haarkranz auftritt, hatte direkt nach ihrer Haftentlassung eine Bewerbung für das Präsidentenamt angekündigt.
Weiter war unklar, wo sich Janukowitsch aufhält. Zuletzt soll er auf der russisch geprägten Halbinsel Krim gesehen worden sein. Laut Opposition hat er die tödlichen Schüsse auf Dutzende Regierungsgegner in Auftrag gegeben.
In Simferopol auf der Halbinsel Krim blockierten mehrere Hundert prorussische Demonstranten das Parlament. Sie forderten ein Referendum über die Abtrennung der Autonomen Republik von der Ukraine und den Anschluss an Russland.
Mehr Geld als bislang gedacht nötig
Die nahezu bankrotte Ukraine braucht offenbar noch weit mehr Geld als bislang gedacht. Die von Turtschinow genannten 35 Milliarden US-Dollar (25,5, Milliarden Euro) reichten kaum bis Jahresende, sagte Jazenjuk.
Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski sprach sich dafür aus, das Vermögen der ehemaligen Führung um den gestürzten Präsidenten zu beschlagnahmen.
Finanzhilfen waren auch Thema bei Gesprächen der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Kiew. Sie pochte aber auf Bedingungen: So müsse zunächst eine Übergangsregierung gebildet werden. Notwendig sei auch ein mit internationalen Organisationen abgesprochener Wirtschaftsplan.
Auch Deutschland forderte Zusagen. "Voraussetzung für Hilfen ist politische Stabilität und eine Übergangsregierung, mit der man verbindlich einen Hilfs- und Stabilisierungsplan entwickeln kann", sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, "Handelsblatt online". EU-Währungskommissar Olli Rehn unterstützte die Idee einer Geberkonferenz.
Russland äußerte sich angesichts des Einflusses rechtsextremer Kräfte "tief besorgt" über die Zukunft des Nachbarn. Um die Ukraine wieder auf den Weg der Rechtstaatlichkeit zu bringen, müsse die Gewalt aufhören und der Dialog zur nationalen Versöhnung beginnen, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau.
dpa/mdr/jp/mh/sh/- Bild: Louisa Gouliamaki (afp)