Das EU-Trio aus Deutschland, Frankreich und Polen hat einen Fahrplan für eine politische Lösung in der Ukraine vorgeschlagen. Im Lauf der nächsten Monate sollen eine Übergangsregierung gebildet, eine Verfassungsreform begonnen und Parlaments- und Präsidentenwahlen abgehalten werden. Dies verlautete am Donnerstag nach einem Treffen der Außenminister aus den drei Ländern mit Staatspräsident Viktor Janukowitsch in Kiew aus europäischen Delegationskreisen. Ziel sei, "im Laufe des Jahres Schritt für Schritt alle offenen Fragen" zu klären.
Nach dem mehr als vierstündigen Gespräch mit Janukowitsch kamen die Minister in der EU-Botschaft in Kiew wieder mit Vertretern der Opposition zusammen. Aus der Delegation hieß es, deren Zustimmung sei völlig offen. Auch das Einverständnis von Janukowitsch stehe noch aus. Der ukrainische Präsident telefonierte am Donnerstag nach diesen Angaben auch mit Kreml-Chef Wladimir Putin. Zudem gab es ein Telefonat mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.
Im Umfeld von Außenminister Frank-Walter Steinmeier war nach dem Gespräch von "Ansätzen für Fortschritte" die Rede. Die Vermittlungsmission von Steinmeier sowie seinen Kollegen aus Frankreich und Polen, Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski, wurde deshalb bis Freitag verlängert. Auf eine Weiterreise zum EU-Krisentreffen in Brüssel, wo Sanktionen gegen die ukrainische Führung beschlossen werden sollen, verzichteten die drei am Donnerstagabend.
Parallel dazu schickte Russland einen eigenen Vermittler nach Kiew, den scheidenden Menschenrechtsbeauftragten Wladimir Lukin.
EU-Regierungen einig über Ukraine-Sanktionen
Die Europäische Union hat nach der Gewalt in der Ukraine Sanktionen beschlossen, die sich vor allem gegen die politische Führung des Landes richten. Die EU-Außenminister einigten sich am Donnerstag in Brüssel darauf, "restriktive Maßnahmen" gegen "die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und übermäßigen Zwang" zu verhängen. Dies sagte die italienische Außenministerin Emma Bonino nach den Beratungen. EU-Diplomaten bestätigten diese Angaben zunächst aber nicht.
"In den kommenden Stunden" würden "sehr schnell" Sanktionen verhängt, sagte die Ministerin. Dabei gehe es vor allem um Einreiseverbote und Kontensperrungen. Eine Liste der Betroffenen gebe es zunächst aber noch nicht.
Radikale Regierungsgegner: mindestens 60 Tote in Kiew
Nach Angaben radikaler Regierungsgegner sind bei den schweren Zusammenstößen in Kiew am Donnerstag mindestens 60 Menschen getötet worden. Die Demonstranten seien gezielt erschossen worden, sagte der Abgeordnete Swjatoslaw Chanenko von der rechtspopulistischen Partei Swoboda (Freiheit). Die meisten Opfer gebe es auf der Institutsstraße zwischen Unabhängigkeitsplatz und dem Regierungsviertel. Allein am Donnerstag seien drei Mitglieder von Polizei und Innentruppen erschossen und mehr als 50 verletzt worden, hatte das Ministerium zuvor mitgeteilt.
Laut Sanitätern wurden viele der Opfer von Scharfschützen erschossen. Die Regierung wiederum teilte mit, 67 Polizisten seien in Kiew als Geiseln genommen worden. Demonstranten und Regierung geben sich gegenseitig die Schuld für die Eskalation der Gewalt. Im Parlament kamen am Nachmittag etwa 200 Abgeordnete zusammen, überwiegend aus den Reihen der Opposition.
Angesichts der explosiven Lage in Kiew hat die ukrainische Regierung die Bewohner der Hauptstadt aufgefordert, ihre Häuser möglichst nicht zu verlassen. Zugleich wurden die Sicherheitskräfte nach Angaben von Innenminister Vitali Sachartschenko mit Schusswaffen des Militärs ausgerüstet. Grund ist ein Anti-Terror-Einsatz. Die Waffen dürften in Übereinstimmung mit dem Gesetz mit scharfer Munition eingesetzt werden, sagte Sachartschenko laut Mitteilung. Der Minister forderte die Regierungsgegner auf, ihre Waffen niederzulegen und zu friedlichem Protest zurückzukehren. Die Oppositionsführer müssten sich von "radikalen Handlungen" distanzieren. Damit besteht die Gefahr, dass sich die Situation in Kiew weiter verschärft.
Am Mittwoch hatte bereits das ukrainische Militär mitgeteilt, es sei befugt, sich dem angekündigten landesweiten "Anti-Terror-Einsatz" des Geheimdiensts SBU gegen radikale Regierungsgegner anzuschließen. Soldaten hätten unter anderem das Recht, Schusswaffen einzusetzen und Personen festzunehmen, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew. Beobachter sprachen davon, damit werde im Prinzip ein Ausnahmezustand im Land ermöglicht.
br/dpa/mh - Yury Kirnichny (afp)