Als erstes deutsches Regierungsoberhaupt hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris besucht. Die Politikerin wies dabei unter anderem die scharfe Kritik der OECD an den jüngsten Rentenbeschlüssen zurück. "Manchmal ist es so, dass Politik verpflichtet ist, auf bestimmte Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. (...) Ich halte das im Augenblick für vertretbar", sagte die deutsche Regierungschefin bei einer Rede vor OECD-Vertretern in Paris. Tendenziell werde es allerdings Schritt für Schritt Steuerzuschüsse ins Rentensystem geben müssen.
OECD-Generalsekretär Angel Gurría hatte Merkel kurz zuvor bei einem Treffen einen Katalog mit Empfehlungen für die Arbeit der großen Koalition übergeben. In diesem wird unter anderem der Sinn der jüngsten Rentenreform infrage gestellt, die unter anderem die "Mütterrente" umfasst. "Der Nutzen dieser Maßnahme im Hinblick auf die Armutsminderung dürfte begrenzt sein", schreiben die OECD-Experten. Zudem sollten zusätzliche Rentenkosten besser aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden anstatt über zusätzliche Sozialversicherungsbeiträge.
Darüber hinaus empfiehlt die OECD in dem Bericht tiefgreifende Reformen des Dienstleistungssektor, der sich in Deutschland "weniger gut" entwickele als der verarbeitende Sektor. "Die strenge Regulierung freiberuflicher Dienstleistungen und die Marktzugangsbeschränkungen in den Netzindustrien sollten gelockert werden", heißt es in dem rund 40-seitigen Dokument. In einer ersten Stellungnahme machte Merkel allerdings wenig Hoffnung auf schnelle Besserung. Es sei schwer, bestimmten Gruppen die Privilegien zu nehmen, sagte Merkel
Angela Merkel forderte die OECD ihrerseits auf, sich stark im Bereich der Bewältigung der jüngsten großen Wirtschaftskrise zu engagieren. "Ich bin noch nicht ganz zufrieden, was wir im Bereich der G20 im Bereich der Finanzmarktregulierung erreicht haben", sagte Merkel. Man habe nach der Krise gesagt, dass kein Finanzplatz, kein Akteur und kein Produkt ohne Regulierung bleiben dürfe. Mit Blick auf Wettbewerbsvorteile lasse das Engagement nun aber mancherorts nach. "Wir haben eine ganze Reihe guter Ansätze, aber es gibt auch eine gewisse erlahmende Tendenz", sagte Merkel - ohne konkret Länder zu nennen.
Die 1961 als eine Art "Wirtschafts-Nato" gegründete OECD vereint mittlerweile 34 Mitgliedsländer, die sich zu Demokratie und Marktwirtschaft bekennen. Die Experten der Organisation erarbeiten beispielsweise regelmäßig Konjunkturprognosen und sind für den weltweit größten Schulleistungstest Pisa verantwortlich. Im Auftrag der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) stellte die OECD jüngst ein Regelwerk zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzströme vor. Es soll vor allem die Steuerflucht über Finanzzentren in Übersee erschweren.
dpa - Bild: Eric Piermont (afp)