Bei den Straßenschlachten in Kiew sind nach offiziellen Angaben mindestens neun Menschen ums Leben gekommen. Sieben Zivilisten und zwei Sicherheitskräfte seien getötet worden, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag der Agentur Interfax. Den Angaben zufolge sollen mindestens zwei Demonstranten und zwei Polizisten jeweils durch Schüsse getötet worden sein.
Nach Wochen angespannter Ruhe war der Machtkampf in der früheren Sowjetrepublik am Dienstag eskaliert. Die Lage hatte sich am Nachmittag dramatisch zugespitzt, als Sicherheitskräfte auf den zentralen Unabhängigkeitsplatz Maidan im Zentrum vorrückten. Sie forderten die Demonstranten ultimativ auf, den Platz zu räumen. Die etwa 20 000 Regierungsgegner, darunter auch der Oppositionsführer Vitali Klitschko, weigerten sich, den Maidan zu verlassen.
Die Opposition teilte mit, mehrere Demonstranten seien mit tödlichen Schüssen in Herz und Kopf aufgefunden worden. Die Regierungsgegner machten Mitglieder der berüchtigten Polizei-Spezialeinheit Berkut (Steinadler) verantwortlich. Nach Angaben des Innenministeriums wurden auch 18 Angehörige der Sicherheitskräfte mit Schussverletzungen in Krankenhäuser gebracht.
Im Marienpark nahe dem Parlament im Zentrum der Hauptstadt bewarfen sich vermummte Demonstranten und Regierungsanhänger gegenseitig mit Brandsätzen. Die Protestierer schleuderten Steine auf Sicherheitskräfte und schossen Feuerwerkskörper ab. Die Polizei setzte Tränengas ein und feuerte mit Gummigeschossen. Nach offiziellen Angaben wurden mindestens sieben Polizisten verletzt. Auch aufseiten der Demonstranten soll es mehrere Verletzte geben.
Tausende zum Parlament gezogen
Zuvor waren Tausende zum Parlament gezogen. Sie fordern, die Macht von Präsident Viktor Janukowitsch per Verfassungsänderung zu beschneiden. Dann durchbrachen maskierte und mit Knüppeln bewaffnete Demonstranten Medien zufolge eine Polizeikette. Protestierer zündeten zwei Lastwagen an. Auch in der Gruschewski-Staße zum Regierungsviertel brannten wieder Reifen. Demonstranten stürmten und verwüsteten ein Büro der regierenden Partei der Regionen.
Regierung und Opposition machten sich gegenseitig für die Eskalation verantwortlich. Der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko rief Janukowitsch auf, vorgezogene Präsidenten- und Parlamentswahlen auszurufen. "Das wird ein Ausweg sein", sagte Klitschko. US-Botschafter Geoffrey Pyatt verurteilte die Gewalt. "Politik sollte im Parlament stattfinden und nicht auf der Straße", schrieb Pyatt bei Twitter.
Ein massives Polizeiaufgebot sicherte das Parlament ab. Die Miliz brachte Wasserwerfer in Stellung. Parlamentschef Wladimir Rybak weigerte sich aber, Verfassungsänderungen auf die Tagesordnung zu setzen. Aus Protest gegen die Entscheidung blockierten Dutzende Oppositionsabgeordnete das Präsidium der Obersten Rada. Später wurde ein Gesetzentwurf der Opposition im Parlament eingebracht. Es war aber unklar, wann der Text besprochen werden sollte.
Die Ukraine wird seit Monaten von einem Machtkampf gelähmt. Die Opposition protestiert gegen Janukowitsch, seit der Präsident auf Druck Russlands ein weitreichendes Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis gelegt hatte. Noch in dieser Woche will Janukowitsch einen Nachfolger für den am 28. Januar zurückgetretenen Regierungschef Nikolai Asarow vorschlagen. Erst am Vortag war eine Massenamnestie für mehr als 260 Menschen in Kraft getreten, die bei blutigen Straßenschlachten im Januar festgenommen worden waren. Im Gegenzug gaben die Regierungsgegner besetzte Gebäude wie die Stadtverwaltung frei.
Die Oppositionspolitiker Arseni Jazenjuk und Klitschko hatten am Montag in Berlin mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Lage in der Ex-Sowjetrepublik besprochen. Sie fordern vom Westen Sanktionen gegen die Führung um Janukowitsch.
dpa/jp/mh - Bild: Sergei Supinsky (afp)