In der krisengeschüttelten Ukraine streiten Regierung und Opposition vehement über eine Verfassungsänderung. Die Gegner von Präsident Viktor Janukowitsch verliehen ihren Forderungen am Donnerstag mit einem Protestmarsch zum Parlament in Kiew Nachdruck. Mehrere tausend Menschen, darunter Maskierte und Bewaffnete, verlangten eine Rückkehr zur Verfassung von 2004, die dem Parlament und der Regierung erheblich mehr Rechte eingeräumt hatte.
Es gehe darum, die "diktatorischen Vollmachten" Janukowitschs zu beseitigen, sagte der Oppositionspolitiker Arseni Jazenjuk von der Partei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Jazenjuk sagte, dass seine Partei einen Gesetzentwurf für eine Verfassungsänderung vorgelegt habe. Parlamentspräsident Wladimir Rybak hingegen betonte, die Parteien hätten eine Sonderkommission zur Vorbereitung einer Verfassungsänderung abgelehnt.
Das EU-Parlament forderte gezielte Sanktionen gegen Politiker und Persönlichkeiten in der Ukraine, die für Übergriffe und den Tod von Demonstranten verantwortlich sind. Die EU müsse gezielte Maßnahmen wie Reisebeschränkungen und das Einfrieren von Vermögen einführen, hieß es in einer parteiübergreifenden Entschließung in Straßburg.
"Auf die ukrainische Regierung und Präsident Janukowitsch muss der diplomatische Druck verstärkt werden", forderte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms. Die Abgeordneten mahnten zugleich, vor allem junge Ukrainer konkret zu unterstützen, etwa mit niedrigeren Visa-Gebühren. EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle reist in der kommenden Woche erneut zu Krisengesprächen nach Kiew.
Dort brachte sich die Opposition bereits für eine mögliche Übergangsregierung in Stellung. Waleri Pazkan von der Partei Udar (Schlag) von Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko betonte, unter Staatschef Janukowitsch sei eine Regierungsbeteiligung zwar ausgeschlossen. Die Partei sei aber bereit, den früheren Außenminister Jazenjuk zum Ministerpräsidenten zu wählen und ihm bei der Lösung der schweren Wirtschaftskrise zu helfen.
Ministerpräsident Nikolai Asarow war auf Druck der Opposition vor gut einer Woche zurückgetreten. Nach dem Gesetz hat der Präsident 60 Tage Zeit, um eine neue Regierung zu ernennen. Janukowitsch hat den bisherigen Vizepremier Sergej Arbusow zum kommissarischen Regierungschef mit ausgeweiteten Vollmachten ernannt. Zuvor hatte der frühere Außenminister Jazenjuk ein Angebot Janukowitschs, das Kabinett zu leiten, zunächst abgelehnt. Bedingung sei, dass die Opposition die Regierung selbst bestimme.
Bei den monatelangen Protesten in Kiew wurden bisher mindestens vier Menschen getötet und Hunderte verletzt. Die Demonstrationen in der Ex-Sowjetrepublik waren ausgebrochen, nachdem Janukowitsch Ende November ein weitreichendes Annäherungsabkommen mit der Europäischen Union auf Druck Russlands auf Eis gelegt hatte.
In dem von radikalen Demonstranten besetzten Gewerkschaftshaus verlor bei der Detonation eines Sprengsatzes - angeblich eine Briefbombe - ein junger Mann eine Hand. Die Miliz betonte, sie sei nicht zur Unfallstelle vorgelassen worden.
Der Liedermacher und einstige DDR-Bürgerrechtler Wolf Biermann sprach Klitschko in einem persönlichen Brief Mut zu. Auch andere prominente Kulturschaffende und Bürgerrechtler unterzeichneten das Schreiben. "Wir hoffen mit Zorn und Bangen, dass die Hoffnung auf einen unblutigen Sieg Ihnen und Ihren Freunden in Kiew nicht verloren geht», schreibt Biermann in dem am Donnerstag veröffentlichten Brief.
dpa/mh Bild: Aris Messinis (afp)