Die Krisengespräche in der Ukraine haben erneut keinen Durchbruch gebracht. Regierung und Protestbewegung bewegten sich bei ihren knapp fünfstündigen Verhandlungen in Kiew aber offenbar zumindest etwas aufeinander zu. Präsident Viktor Janukowitsch versprach laut Opposition die Freilassung inhaftierter Protestler. Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko bat die seit Wochen in der Hauptstadt ausharrenden Demonstranten derweil um Geduld und einen "Waffenstillstand". Am Freitag wollte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle in das Land reisen, um in dem Machtkampf zu vermitteln.
Die Regierung habe zugesagt, etwa 100 festgenommene Demonstranten binnen drei Tagen freizulassen, sagte Klitschko am Donnerstagabend vor den Demonstranten im Zentrum Kiews. "Ich hoffe, sie hält ihr Versprechen." Die Menge reagierte mit Pfiffen und "Schande"-Rufen. Nach den Straßenschlachten mit drei von den Behörden bestätigten Toten hatte der 42-Jährige am Vortag noch betont, Janukowitsch müsse bis Donnerstagabend den Forderungen der Opposition nachkommen, die unter anderem vorgezogene Neuwahlen verlangt.
Das Machtlager sprach derweil von "ersten positiven Schritten". Allerdings kritisierte Justizministerin Jelena Lukasch, die Opposition habe sich erneut geweigert, die brutalen Angriffe nationalistischer Demonstranten auf Sicherheitskräfte sowie die Besetzung öffentlicher Gebäude zu verurteilen. Lukasch kündigte weitere Verhandlungen an.
"Terror gegen das Volk" einstellen
Unmittelbar vor dem Treffen mit Janukowitsch hatte Klitschko die Sicherheitskräfte aufgefordert, den "Terror gegen das Volk" einzustellen. Er rief die internationale Gemeinschaft zu stärkerem Druck auf. "Menschen kommen um, Aktivisten verschwinden, Verletzte werden aus Krankenhäusern entführt", sagte der 42-Jährige.
In einem Telefonat mit Janukowitsch verurteilte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die Gewaltausbrüche scharf. Sie appellierte eindringlich, mit der Opposition einen ernsthaften Dialog zu führen, wie das Bundespresseamt mitteilte. Janukowitsch telefonierte auch mit US-Vizepräsident Joe Biden. Dieser warnte, weiteres Blutvergießen werde die bilateralen Beziehungen belasten. Beobachter erwarten eine lange und schwierige Krisenlösung in der früheren Sowjetrepublik.
Anzeichen eines Einlenkens signalisierte das prorussische Machtlager im Tagesverlauf. Parlamentspräsident Wladimir Rybak kündigte eine Sondersitzung der Abgeordneten für kommenden Dienstag an. In dieser soll unter anderem der Rücktritt von Regierungschef Nikolai Asarow beraten werden. Auch die umstrittenen Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit und des Versammlungsrechts sollen besprochen werden.
Wütende Regierungsgegner stürmten indes in mehreren west- und zentralukrainischen Städten mehrere Verwaltungsgebäude. Hunderte besetzten die Gebietsverwaltung in der Großstadt Lwiw (Lemberg) rund 500 Kilometer westlich von Kiew. In der Stadt Tscherkassy kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei. Die Region an der Grenze zur EU gilt als Hochburg von Ultranationalisten.
Die Lage in der Ukraine war eskaliert, nachdem Janukowitsch die Gesetze zur Einschränkung der Presse- und Versammlungsfreiheit unterzeichnet hatte. Die Proteste dauern seit zwei Monaten an. Auslöser war Janukowitschs Ablehnung einer Annäherung an die EU und die Hinwendung zum Nachbarn Russland. Putin gewährte dem klammen und krisengeschüttelten Nachbarn Ukraine Milliardenhilfen.
dpa/jp - Bild: Anatoliy Stepanov (afp)