Seit Wochen gehen Tausende Menschen in der Ukraine auf die Straße und fordern eine Annäherung an Europa. Die Europäische Union lässt im Werben um die Ukraine nicht locker. Trotz der engeren Anbindung Kiews an Russland ist die EU weiter bereit, mit der Ukraine jederzeit ein Assoziierungsabkommen zu unterschreiben. Dieses Signal wollte der EU-Gipfel am Freitag in Brüssel aussenden, wie aus dem Entwurf der Abschlusserklärung hervorgeht. Allerdings wächst die Kritik der Europäer an der pro-russischen Regierung in Kiew unter Staatspräsident Viktor Janukowitsch. Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite sagte: "Europa ist offen für das ukrainische Volk. Aber nicht unbedingt für diese Regierung. Das ist die Botschaft."
Dabei wollen die Europäer einen Bieterwettstreit zwischen der EU und Russland vermeiden. Die Staaten sind nicht bereit, die Ukraine mit mehr Geld zu locken. Der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel warnte: "Wir sind keine Teppichhändler, wo gefragt wird, wer mehr bietet." Auch der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann sagte: "Ich glaube, das ist keine Frage jetzt von gegenseitig etwas auf den Tisch legen."
Die Ukraine sei für Europa nicht verloren, "weil man spürt ja in der Bevölkerung der Ukraine eine große Zustimmung für die Europäische Union", sagte der österreichische Regierungschef. Die EU setzt weiter auf eine Annäherung der Ukraine an Europa. "Wir halten die Tür weit offen", sagte Belgiens Premierminister Elio Di Rupo. Europa biete gleichzeitig "Stabilität, Demokratie und Werte".
Die Staats- und Regierungschefs bekräftigten in der Erklärung, die der Nachrichtenagentur dpa vorliegt, die Unterschrift unter das Abkommen könne erfolgen, "sobald die Ukraine dazu bereit ist und die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind". Außerdem ruft die EU die ukrainische Regierung dazu auf, die politische Krise friedlich auf eine Weise zu lösen, "die den Erwartungen des ukrainischen Volkes entspricht".
Vor einigen Tagen hatte die Ukraine mit Russland ein Abkommen unterzeichnet, das Kiew eine Finanzspritze von elf Milliarden Euro sowie niedrigere Preise für russisches Gas garantiert. Damit ist der Staatsbankrott der ehemaligen Sowjetrepublik abgewendet. Zuvor hatte die EU im Rahmen eines Assoziierungsabkommens angeboten, die Ukraine näher an sich zu binden.
Die Ukraine ist ein wichtiges Transitland für Gaslieferungen nach Europa und als zweitgrößtes Flächenland des europäischen Kontinents zudem ein attraktiver Markt für die Wirtschaft der EU-Länder.
Beim zweiten Gipfeltag diskutierten die EU-Staatenlenker auch weiter über die Forderung Frankreichs, die EU solle sich am Militäreinsatz der Franzosen in der Zentralafrikanischen Republik finanziell beteiligen. Deutschland und andere Staaten hatten dies abgelehnt. Die EU will nun aber prüfen, ob dieser Einsatz Teil einer EU-Mission in dem Land werden kann. Ein entsprechender Auftrag an die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ist in der Schlusserklärung enthalten. Es solle geprüft werden, ob die Instrumente der EU genutzt werden könnten, "um zu den Bemühungen um eine Stabilisierung des Landes beizutragen". Ein Teil der Kosten könnte dann von der EU übernommen werden.
Am zweiten Gipfeltag ging es außerdem um Verhandlungen mit dem Beitrittskandidaten Serbien, die im Januar beginnen sollen. Zum Thema Flüchtlingspolitik sicherten die Staaten den besonders belasteten Mittelmeerländern wie Italien mehr Unterstützung zu und wollen mehr gegen Menschenhändler tun. Im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit mahnte der Gipfel die EU-Staaten, die Beschäftigungsgarantie für junge Menschen von 2014 an wie versprochen zu erfüllen. Dabei haben sich die Regierungen verpflichtet, Menschen unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten entweder ein Praktikum, einen Studienplatz oder einen Arbeitsplatz zu vermitteln.
Im Mittelpunkt Themen Verteidigung und Wirtschaft
Das dürfte den 28 Staats- und Regierungschefs nicht gefallen. Die Ratingagentur Standard & Poor’s hat die Kreditwürdigkeit der Europäischen Union amFreitagmorgen heruntergestuft: von der Bestnote drei Mal A auf AA+. Begründung: Die Kreditwürdigkeit der Mitgliedsländer sei insgesamt schwächer geworden. Premierminister Elio Di Rupo gibt sich gelassen und stellt die Experten der Ratingagentur in Frage. Genau diese Leute hätten die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht kommen sehen und noch kurz davor erklärt, alles sei in bester Ordnung. Viel wichtiger als die Meinung einer einzelnen Ratingagentur seien konkrete Taten.
Die Staaten müssten weiterhin ihre Finanzen in Ordnung bringen, die Haushalte konsolidieren - sagt Di Rupo. Zugleich muss aber die Wirtschaft angekurbelt werden, da geht es um Beschäftigung und Arbeitsplätze. Und zum ersten Mal habe er bei einem EU-Gipfel was das betrifft positive Signale verspürt.
Auf die Details der Bankenunion hatten sich die 28 Finanzminister bereits geeinigt. Da droht aber jetzt das EU-Parlament Stress zu machen, weil die Regelung zu kompliziert ist. Die Bankenunion mit der gemeinsamen Aufsicht soll neue Krisen in der Finanzwelt frühzeitig erkennen und verhindern. Zentral stand das Thema gemeinsame Wirtschaftspolitik. Da fordert vor allem Deutschland Reformen in den anderen Ländern, um die EU insgesamt wettbewerbsfähiger zu machen und der Wirtschaft insgesamt wettbewerbsfähiger zu machen. Angedacht sind Verträge zwischen den einzelnen Ländern und der Kommission über zu erreichende Ziele und Reformen. Sprich Geld, also ein finanzieller Anreiz, um die Reformen tatsächlich durchzuführen. In Belgien dürfte die umstrittene Lohnindex-Bindung erneut angeprangert werden. Die Reformverträge wie Merkel sie sich vorstellt wurden aber erstmal verschoben.
Bis Oktober kommenden Jahres sollen die Verträge konkret ausgearbeitet werden, sagt EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Erst dann soll es einen Beschluss geben.
Die Staats- und Regierungschefs haben auch eine engere Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschlossen. Konkret beschlossen worden ist die Entwicklung einer europäischen Drohne im Zeitraum 2020 bis 2025. Vom kommenden Jahr an ist dafür eine "angemessene Finanzierung" für Forschung und Entwicklung geplant. Allerdings ist Frankreichs Präsident François Hollande mit dem Vorstoß gescheitert, dass sich die europäischen Partner an seinen Militäreinsätzen in Afrika finanziell beteiligen. Die anderen EU-Länder haben das abgelehnt mit der Begründung, Geld gebe es nur für gemeinsame europäische Missionen und nicht für Alleingänge.
dpa/alk/jp - Bild: Jennifer Jacquemart ('belga)