Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat von den EU-Mitgliedern stärkere Anstrengungen bei der Umsetzung ihrer Reformversprechen gefordert. In einer Regierungserklärung sagte Merkel am Mittwoch im Bundestag, es müsse künftig verbindliche vertragliche Vereinbarungen zwischen den einzelnen Ländern und der EU-Kommission geben. Um in Zukunft Schieflagen zu vermeiden, müssten die notwendigen nationalen Strukturreformen auch eingefordert werden.
Dies werde erneut Thema auf dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel sein, sagte Merkel. "Wir werden hier langsame Fortschritte erzielen." Aber auch 2014 werde darüber weiter gesprochen werden müssen. Die Glaubwürdigkeit Europas habe zu oft darunter gelitten, dass Zusagen und Beschlüsse nicht eingehalten worden seien. Länder, die Empfehlungen zur Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit nicht einhielten, müssten mit Auswirkungen auf die Vergabe von Strukturfondsmitteln rechnen.
Einen Tag vor dem EU-Gipfel betonte Merkel, die Zukunft der europäischen Einigung werde nicht ohne Änderungen der EU-Verträge zu sichern sein. Deutschland werde sich dagegen nicht sperren, auch wenn Vertragsveränderungen in einigen Ländern schwierig durchzusetzen seien. "Wer mehr Europa will, der muss auch bereit sein, bestimmte Kompetenzen neu zu regeln."
Erste Bundestagsrede ihrer dritten Amtszeit
In der ersten Bundestagsrede ihrer dritten Amtszeit sagte Merkel weiter: "Europa ist auf dem Weg zu Stabilität und Wachstum eine gutes Stück vorangekommen." Die Staatsschuldenkrise sei noch nicht vorüber, aber sie könne dauerhaft überwunden werden. Irland und Spanien könnten die Früchte ihrer Reformanstrengungen ernten und die europäischen Hilfsprogramme verlassen, Portugal, Zypern und Griechenland hätten deutliche Fortschritte gemacht.
Aber es gehe weiter darum, Ursachen der Krise zu bekämpfen, betonte Merkel. Dazu gehörten die übermäßige Verschuldung einiger Länder, Defizite in der Wettbewerbsfähigkeit, wirtschaftliche Ungleichgewichte und gravierende Fehlentwicklungen im Finanzsektor. Konstruktionsmängel der Wirtschafts- und Währungsunion insgesamt müssten behoben werden.
Thema des EU-Gipfels wird voraussichtlich auch die Lage der Ukraine sein. Merkel betonte, auch nach dem russischen Milliardenkredit für die Ukraine bleibe das Angebot eines EU-Assoziierungsabkommens auf dem Tisch. Die Ukraine müsse aber garantieren, "was wir von jedem Land erwarten: vernünftige Garantien für die Demonstrationsrechte und die Einhaltung der demokratischen Grundregeln".
Deutschland werde in Europa seine "verantwortungsvolle und integrationsfördernde Rolle" weiter wahrnehmen, versprach Merkel.
In der Debatte über die Regierungserklärung warf die Linke als neue größte Oppositionspartei Merkel und der schwarz-roten Koalition "Wahlbetrug" vor. In Europa werde eine Politik für die Märkte und gegen die kleinen Leute gemacht. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte eine stärkere Ausrichtung der deutschen Europapolitik an Demokratie und Menschenrechten.
Schnell an die Arbeit gehen
Fast drei Monate nach der Bundestagswahl vom 22. September will sich die schwarz-rote Koalition nun schnell an die Arbeit machen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kündigte an, sich für familienfreundlichere Arbeitszeiten in Unternehmen einzusetzen. "Wir müssen Vollzeit neu definieren. Mit dem Anwesenheitswahn muss Schluss sein, denn Familien brauchen auch Zeit", sagte sie der "Bild"-Zeitung (Mittwoch). Wenn in Betrieben stärker teamorientiert gearbeitet werde, könne man sich selbst in Spitzenjobs gegenseitig vertreten.
Der neue CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte der "Rheinischen Post" (Mittwoch), seine Partei freue sich auf die Arbeit "mit einer kraftvollen Kanzlerin". "Wir werden als Parteien Politik für stabilen Wohlstand, soziale Sicherheit sowie solide Finanzen modern und näher an den Menschen erklären müssen."
Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil forderte von der großen Koalition in Berlin ein beherzteres Vorgehen in der Bildungspolitik. In diesem Punkt könne er dem Koalitionspaket "nur verhalten zustimmen", sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Mittwoch). "Da werden sechs Milliarden Euro für vier Jahre investiert. Heruntergebrochen auf die Länder bleibt von dieser Summe allerdings nicht allzu viel übrig."
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer äußerte sich in den "Ruhr Nachrichten" (Mittwoch) besorgt über "die teuren Rentenpläne, die Milliardensummen kosten und die Beitragszahler über diese Legislaturperiode hinaus langfristig massiv belasten werden". Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, sagte dem Blatt hingegen: "Der Sozialstaat ist unterfinanziert." Dafür seien Steuererhöhungen für die Reichen unumgänglich.
Union und SPD vereinigen im neuen Bundestag rund 80 Prozent der Mandate auf sich. Die Opposition besteht nur noch aus Linkspartei und Grünen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt pochte im Sender "MDR Info" erneut auf eine Stärkung der Oppositionsrechte. Ihre Partei benötige genügend Zeit, um Alternativen zur Regierungspolitik erläutern zu können. "Wir werden uns nicht mit ein paar geschenkten Debattenminuten zufriedengeben", ergänzte sie in der "Passauer Neuen Presse" (Mittwoch).
Nach einer repräsentativen Umfrage des Nachrichtensenders N24 halten 21 Prozent der Bundesbürger die neue Regierung für besser als die alte und weitere 41 Prozent für zumindest genauso gut. In der Ministerriege genießt Außenminister Steinmeier besonders viel Vertrauen, vier von fünf Befragten halten ihn für eine gute Besetzung (81 Prozent). Nur 36 Prozent sind allerdings mit der Entscheidung für Ursula von der Leyen (CDU) als Verteidigungsministerin einverstanden.
dpa/jp - Bild: John MacDougall (afp)