In der schweren politischen Krise in Tunesien haben die zerstrittenen Parteien nach wochenlangen Verhandlungen einen neuen Chef für die Übergangsregierung gewählt. Bei einer Abstimmung am Samstag setzte sich mit 9 zu 2 Stimmen der parteilose Ingenieur Mehdi Jomaâ durch, wie die als Vermittler auftretende Gewerkschaft UGTT mitteilte. Die bedeutende Oppositionspartei Nidaa Tounes boykottierte die Wahl allerdings. Sie kritisierte, dass der 51 Jahre alte Jomaâ als Industrieminister bereits Mitglied der Vorgängerregierung war. Neben ihm stand nur der frühere Finanzminister Jalloul Ayed zur Wahl.
Jomaâ soll nun in den nächsten Tagen ein neues Kabinett aus politisch unabhängigen Experten zusammenstellen, das Tunesien bis zu den für das nächste Jahr geplanten Wahlen führt. Er löst Ali Larayedh von der islamistischen Ennahda ab. Die Bewegung hatte im Herbst 2011 die ersten Wahlen nach dem Sturz von Langzeitherrscher Zine el Abidine Ben Ali klar gewonnen, war aber schnell in Kritik geraten.
Eskaliert war die politische Krise zuletzt durch den Mord an dem Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi Ende Juli. Der Ennahda wird von ihren Gegnern eine politische Mitverantwortung an dem von Extremisten verübten Attentat vorgeworfen. Die Partei hatte daraufhin eingewilligt, die Regierungsverantwortung im Rahmen eines "Nationalen Dialogs" abzugeben, um die politische Krise zu beenden.
Die Umsetzung der Pläne ließ allerdings monatelang auf sich warten. Zuletzt lehnte der von den Parteien vorgeschlagene Mustapha Filali den Posten des Regierungschefs ab. Der 92-jährige nannte unter anderem sein Alter als Grund. "Der Weg vor uns bleibt weiter schwierig", kommentierte UGTT-Generalsekretär Houcine Abassi.
Die Verhandlungen werden immer wieder auch von Gewalt überschattet. Zuletzt verübten Terroristen erstmals seit 2002 wieder einen gezielten Anschlag auf ein touristisches Ziel. Bei dem Selbstmordattentat im Badeort Sousse kam zur großen Erleichterung der Tourismusindustrie aber nur der Täter ums Leben.
dpa/rkr - Bild: Fethi Belaid (afp)