Nach dem vorläufigen Rückzug der ukrainischen Sicherheitskräfte vom Unabhängigkeitsplatz in Kiew haben die prowestlichen Demonstranten ihre Barrikaden weiter verstärkt.
Damit wollen sich die Gegner von Präsident Viktor Janukowitsch gegen einen möglichen neuen Räumungsversuch von Spezialeinheiten wappnen. Aus dem ganzen Land seien weitere Demonstranten mit Dutzenden Bussen und Privatautos in der Hauptstadt eingetroffen, berichteten örtliche Medien am Donnerstag.
In der Nacht hatten erneut Hunderte Menschen bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt auf dem Platz ausgeharrt. Bekannte Popstars gaben auf einer Bühne ein Konzert. Priester sprachen öffentlich Gebete und sangen mit der Menge stündlich die Nationalhymne.
Nach dem harten Vorgehen ukrainischer Sicherheitskräfte gegen Demonstranten in der Hauptstadt Kiew erwägen die USA Sanktionen. Alle Optionen lägen auf dem Tisch, sagte die Sprecherin des Washingtoner Außenministeriums, Jen Psaki, am Mittwoch. Um repressive Staaten unter Druck zu setzen, hatten die USA bislang etwa Einreisebote für Regierungsvertreter verhängt oder Vermögen eingefroren.
In Kiew hatten Polizisten vor zehn Tagen gewaltsam eine Demonstration für einen EU-Kurs des Landes aufgelöst und Dutzende Menschen festgenommen. In der Nacht auf Mittwoch rückten Sicherheitskräfte gewaltsam gegen das Lager der Demonstranten im Zentrum der Stadt vor. Der Einsatz stieß bei der Europäischen Union und den USA auf scharfe Kritik.
"Es war wie ein Überfall für uns mitten in der Nacht", beschrieb der Oppositionspolitiker und Boxweltmeister Vitali Klitschko seine Erlebnisse in einem Gastbeitrag für die Bild-Zeitung (Donnerstag). "Es war eine Horror-Nacht für alle Demonstranten, auch für mich. Die Sicherheitskräfte schlugen Zelte kaputt, trieben Demonstranten mit Schlagstöcken auseinander, zerstörten unsere friedlichen Proteste."
Opposition lehnt Dialog ab
Klitschko hatte nach dem Polizei-Einsatz jedes künftige Gespräch mit der Staatsführung abgelehnt. Präsident Viktor Janukowitsch rief die Regierungsgegner dennoch zum nationalen Dialog auf und erklärte sich bereit, persönlich an einem Runden Tisch teilzunehmen. Die Opposition müsse aber auf "den Weg der Konfrontation und der Ultimaten" verzichten. Ein gewaltsamer Einsatz gegen Regierungsgegner werde sich nicht wiederholen, versprach er.
Die ukrainische Opposition hat zu neuen Protesten aufgerufen. Klitschko rechnet mit einer großen Beteiligung. "Ich erwarte in den nächsten Tagen Millionen Menschen auf der Straße, mehr als je zuvor", schrieb er in dem Zeitungsbeitrag. Möglicherweise strömten dann sogar mehr Menschen auf die Straßen als bei der orangenen Revolution 2004.
Die Opposition fordert Janukowitschs Rücktritt sowie vorgezogene Parlaments- und Präsidentenwahlen. Die seit drei Wochen andauernden Proteste in dem krisengeschüttelten Land hatten sich an der Abkehr der Regierung von ihrem proeuropäischen Kurs entzündet. Regierungschef Nikolai Asarow forderte inzwischen 20 Milliarden Euro Finanzhilfe von der EU für den Abschluss des Assoziierungsabkommens. Klitschko bezeichnete dies als Ablenkungsmanöver.
EU: Ukraine gibt Westkurs nicht auf
Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch hat nach EU-Einschätzung einen Westkurs seines Landes nicht grundsätzlich verworfen. «Janukowitsch hat mir gegenüber deutlich gemacht, dass er die Absicht hat, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen», sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Donnerstag in Brüssel. Sie hatte sich diese Woche in Kiew mit Janukowitsch getroffen. Der Staatschef habe über kurzfristige wirtschaftliche Herausforderungen gesprochen, mit denen das krisenerschütterte Land konfrontiert sei.
Bei einem Gipfel mit der EU Ende November in Litauen hatte Janukowitsch die Unterschrift unter das Abkommen verweigert. Der Pakt, der auch Freihandel vorsieht, soll das finanziell angeschlagene Land näher an Europa führen.
dpa/jp/sd - Bild: Viktor Drachev (afp)