Bei gewaltsamen Zusammenstößen nahe des Präsidentensitzes in Kiew sind nach offiziellen Angaben etwa 100 Polizisten sowie mindestens 22 Demonstranten verletzt worden.
"Gruppen von Provokateuren warfen Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit, Steine und Feuerwerkskörper", teilte die ukrainische Polizei am Sonntag mit. Die Sicherheitskräfte setzten massiv Tränengas sowie Blendgranten ein, um die Randalierer zu vertreiben. Dabei erlitten nach Berichten von Ärzten knapp zwei Dutzend Protestierer Knochenbrüche und Augenreizungen.
Oppositionspolitiker verurteilten die Randale Hunderter zum Teil vermummter junger Menschen, die auch einen Traktor gegen die Absperrungen einsetzten. "Der Sturm des Präsidentensitzes ist eine Provokation der Regierung, um die friedliche Aktion auf dem Unabhängigkeitsplatz zu diskreditieren", sagte der Oppositionspolitiker Boxweltmeister Vitali Klitschko.
Zuvor hatten schätzungsweise Hunderttausende Menschen friedlich den Rücktritt von Präsident Viktor Janukowitsch sowie einen EU-Kurs ihres Landes gefordert. Ungeachtet eines gerichtlichen Verbots protestierte die Menge am Sonntag auch auf dem symbolisch bedeutenden Unabhängigkeitsplatz (Maidan) im Zentrum der Hauptstadt. "Unser Ziel heute ist der vollständige Regierungswechsel in der Ukraine", rief Klitschko. "Heute ist die ganze Ukraine gegen die Regierung aufgestanden und wir werden bis zum Ende stehen", sagte er.
Die Demonstranten riefen in Sprechchören immer wieder "Revolution" und schwenkten EU-Fahnen als Forderung für einen Westkurs ihres Landes. Janukowitsch versprach in einer Mitteilung, alles für eine schnelle Annäherung der Ex-Sowjetrepublik an die EU zu tun. Es gehe aber darum, wirtschaftliche Verluste zu vermeiden. Der Präsident hatte auf dem EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft in Vilnius nach starkem Druck des Nachbarlands Russland die Unterschrift unter ein Assoziierungsabkommen mit der EU verweigert.
Proteste auf dem Maidan-Platz
Die Demonstranten zogen zunächst vom Taras-Schewtschenko-Park über die Flaniermeile Kreschtschatik zum Maidan. Nach einer Gerichtsentscheidung vom Morgen waren Proteste dort eigentlich verboten. Allerdings räumten Demonstranten die aufgestellten Metallgitter weg, die Sicherheitskräfte zogen sich zurück. Der Maidan ist spätestens seit der prowestlichen Orangenen Revolution 2004 der bedeutendste Platz im zweitgrößten Flächenstaat Europas.
Auf Plakaten gaben die Demonstranten der Regierung die Schuld an einem brutalen Polizeieinsatz gegen EU-Anhänger am Vortag. Dabei waren Dutzende Menschen verletzt worden. Innenminister Witali Sachartschenko entschuldigte sich für das Vorgehen der Sondereinheit "Berkut" (Steinadler). Der Kiewer Polizeichef Waleri Korjak bot seinen Rücktritt an.
Trotz klirrender Kälte hatten etwa 1000 Regierungsgegner in der Nacht auf dem zentralen Michaelsplatz ausgeharrt. Die Mönche des gleichnamigen Klosters ließen Dutzende bei sich übernachten. In den Protestzug mischten sich auch viele ältere Menschen und Familien mit Kindern. Als Beobachter war unter anderem der polnische Ex-EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek in Kiew.
Angeblich waren alleine aus der westukrainischen Großstadt Lwiw (Lemberg) weit mehr als 10.000 Menschen angereist. Auch aus den russischsprachigen Metropolen Charkow und Donezk im Osten kamen etliche Demonstranten eigens in die Hauptstadt. Regierungschef Nikolai Asarow versprach in einem Fernsehinterview, die Behörden der Ex-Sowjetrepublik schützten die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Gesetzesverstöße aber würden bestraft.
dpa/mh - Bild: Genya Savilov (afp)