Vor der Abstimmung über die schottische Unabhängigkeit von Großbritannien hat Ministerpräsident Alex Salmond detaillierte Pläne für eine eigenständige Nation vorgelegt. Das mehr als 600 Seiten starke Papier unter dem Titel "Scotlands Future" ("Schottlands Zukunft") listet auf, welche gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Schwerpunkte in einem unabhängigen Staat gesetzt werden sollen. Die rund fünf Millionen Schotten werden am 18. September 2014 darüber abstimmen, ob sie künftig eine eigene Nation bilden wollen und sich gegen den Willen Londons von Großbritannien lossagen.
Die britische Regierung droht, ein unabhängiges Schottland könne nicht das britische Pfund als Währung behalten und werde nicht von der Bank of England als Zentralbank gestützt. In Umfragen holt die Kampagne für ein unabhängiges Schottland allerdings auf. Jüngsten Befragungen zufolge liegen die Befürworter inzwischen bei 38 Prozent, nachdem sie lange bei rund 30 Prozent verharrt hatten. Die Gegner liegen demnach derzeit bei 47 Prozent.
"Unsere Vision ist die eines unabhängigen Schottlands, das seinen Platz als gleichwertiges Mitglied in der Familie der Nationen wiedererlangt", sagte Salmond bei der Vorstellung in Glasgow. "Wir streben aber nicht nach Unabhängigkeit als Selbstzweck, sondern als ein Mittel, um Schottland zum Besseren zu wenden."
Schottland leidet wirtschaftlich unter Gesamtstaat
Salmonds schottische Nationalpartei ist davon überzeugt, dass das rohstoffreiche Schottland wirtschaftlich unter dem Gesamtstaat Großbritannien leidet und ohne die seit mehr als 300 Jahren bestehende Union besser dastünde. London bestreitet dies. Der schottische Steuerzahler müsse pro Jahr 1000 Pfund mehr bezahlen, wenn Schottland unabhängig wäre, ließ die Downing Street errechnen.
Dem Konzept zufolge soll Schottland bei einem erfolgreichen Referendum im nächsten Jahr bereits eineinhalb Jahre später, im März 2016, die Unabhängigkeit erlangen. Schottland will Queen Elizabeth II. als Staatsoberhaupt behalten und möglichst auch die britische Währung, das Pfund Sterling. Die britischen Atomwaffen, bisher allesamt auf U-Booten in Schottland stationiert, sollen bereits in der ersten Legislaturperiode die neue Nation verlassen. Schottische Eltern sollen dem Konzept zufolge zudem 30 Stunden Kindergartenzeit für ihre drei- und vierjährigen Kinder pro Woche kostenlos bekommen. Mindestlöhne und Steuerfreibeträge sollen mit der Inflationsrate wachsen.
Der frühere britische Finanzminister Alistair Darling, der die Kampagne für den Erhalt der britischen Union anführt, kritisierte die Pläne scharf. "Das Konzept ist ein fiktionales Werk, voll mit falschen Versprechungen und bedeutungslosen Behauptungen." Salmond konterte: "Wir wissen, dass wir die Leute haben, die Fähigkeiten und die Ressourcen, um Schottland zu einem erfolgreicheren Land zu machen", betonte er. Man brauche jetzt die wirtschaftlichen Werkzeuge, um dies umzusetzen.
Alex Salmond: Der neue König von Schottland?
Charisma und politische Klugheit schreiben seine Freunde Alex Salmond zu - seine Gegner werfen ihm Doppelzüngigkeit vor. Doch Alex Salmond, eines von vier Kindern aus einem Beamtenhaushalt, sieht sich selbst als einen unverbesserlichen Optimisten. Das Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands in zehn Monaten dürfte über Aufstieg oder Fall des 58-jährigen Politikers entscheiden. Ein Scheitern könnte das politische Aus für Salmond bedeuten.
Seine Mutter war Tory, sein Vater wählte traditionell Labour, erzählt Salmond gerne. Als jedoch ein Labour-Wahlkämpfer vor Jahrzehnten die damals noch kleine Scottish Independence Party (SNP) beleidigte, schwenkte der Vater zu den sozialdemokratisch gesinnten Nationalisten um. Sohn Alex holte sich an der schottischen Elite-Universität St. Andrews mit einem Geschichts- und Wirtschafts-Studium politischen Schliff und arbeitete als Ökonom bei der Royal Bank of Scotland (RBS). Dort erwarb er sich Einblicke in die für Schottland wichtige Ölindustrie. Auch in der Gewerkschaft war er aktiv.
Drei Jahre nachdem Ex-Premierminister Tony Blair 1997 mit seiner Politik der Dezentralisierung des Vereinigten Königreichs begann, holte sich Salmond den wohl berühmtesten Schotten - James Bond-Star Sean Connery - für die SNP-Werbung ins Boot. Es folgten Rückschläge und Erfolge, die der Golfspieler und Pferdenarr Salmond einsteckte. Der große Durchbruch kam bei den Regionalwahlen 2011, als die SNP mit rund 45 Prozent der Stimmen abschnitt und die absolute Mehrheit im Regionalparlament holte. Bereits seit 2007 ist Salmond - als erster SNP-Ministerpräsident - im Amt.
Schottlands Streben nach Unabhängigkeit
Nach mehr als 300 Jahren Zugehörigkeit zu Großbritannien setzt Schottlands Regierung auf Unabhängigkeit. Der Weg weg von London:
1997: Bei einem Referendum stimmt eine Mehrheit für ein schottisches Regionalparlament mit begrenzten Kompetenzen innerhalb des Vereinigten Königreichs.
1999: London überträgt weitere Rechte an das schottische Regionalparlament.
Mai 2007: Die linksliberale Schottische Nationalpartei SNP gewinnt die Wahlen und bildet eine Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Alex Salmond.
Februar 2010: Die Regierung stellt erste Weichen in Richtung Unabhängigkeit. Wähler sollen in einem Referendum zwischen neuen Rechten für das schottische Parlament oder der vollen Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich entscheiden.
Januar 2012: Salmond kündigt das Referendum für Herbst 2014 an. Der britische Schottland-Minister Michael Moore erklärt, die schottische Regionalregierung könne aus rechtlichen Gründen nicht im Alleingang zu einem Volksentscheid über die Unabhängigkeit aufrufen.
Mai 2012: Die maßgeblich von der SNP getragene schottische Unabhängigkeitsbewegung startet ihre Wahlkampagne "Yes Scotland". Die Regierung in London, die strikt gegen eine Abspaltung Schottlands ist, startet eine Gegenkampagne gestartet.
Oktober 2012: Der britische Premier David Cameron und Salmond unterzeichnen ein Abkommen, das der Regionalregierung die Befugnis gibt, eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit abzuhalten.
März 2013: Der Termin für das Referendum wird auf den 18. September 2014 festgelegt.
dpa/fs - Bild: Andy Buchanan (afp)