Die Verhandlungen über eine neue große Koalition gehen ins Finale: Die möglichen neuen Bündnispartner CDU, CSU und SPD kamen am Dienstagmittag in kleiner Runde zusammen, um die offenen Fragen zu klären. Dazu gehören zentrale Punkte wie die Ausgestaltung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns, eine doppelte Staatsbürgerschaft und eine Pkw-Maut. Auch die Finanzierung vieler Vorhaben ist noch nicht geklärt. Im einem neuen Entwurf für den Koalitionsvertrag mit 173 Seiten sind deshalb noch viele Punkte in Klammern gesetzt.
Die Entscheidungen sollen in einer Sitzung der großen Verhandlungsgruppe mit etwa 75 Teilnehmern fallen - möglicherweise erst tief in der Nacht. Dann soll auch die Zusammensetzung eines neuen schwarz-roten Bündnisses unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geklärt werden. Geplant ist, dass die CDU fünf Bundesministerien bekommt, die CSU drei und die SPD sechs.
Erschwert werden die Verhandlungen dadurch, dass über den Koalitionsvertrag erstmals in der bundesdeutschen Geschichte die Basis einer Partei entscheiden soll. Die SPD will dazu ihre etwa 475.000 Mitglieder befragen. Bei ihnen gibt es teils massive Kritik. Bei einer Zustimmung könnte Merkel am 17. Dezember im Bundestag zum dritten Mal zur Kanzlerin gewählt werden. Das neue schwarz-rote Kabinett würde dann am selben Tag die Arbeit aufnehmen.
Vor Beginn der neuen Runde beriet die SPD in Vorbesprechungen über ihre Verhandlungslinie. Generalsekretärin Andrea Nahles kündigte an: "Es wird eine lange Nacht. Aber das wussten wir ja." SPD-Unterhändler Thomas Oppermann sagte: "Ich glaube, wir werden es schaffen." Die SPD trat Spekulationen aus der CSU entgegen, die Gespräche könnten in die Verlängerung gehen.
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte mit Blick auf die SPD: "Es wird jetzt Zeit, von der einen oder anderen Position herunterzukommen." CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe ging ebenfalls noch von einem "ganz, ganz großen Stück Arbeit" aus.
Vertrag am Mittwoch präsentieren
Ziel aller Seiten ist es, den Vertrag am Mittwoch zu präsentieren. Merkel reist am Donnerstag als amtierende Kanzlerin zu einem EU-Gipfeltreffen mit osteuropäischen Staaten nach Litauen. Nach Angaben aus ihrer Umgebung will sie an dem Termin unbedingt festhalten.
Zuvor hatten Union und SPD bereits bis zum frühen Dienstagmorgen elf Stunden lang verhandelt. Grundlage war ein erster Entwurf des Koalitionsvertrags, in dem aber noch wesentliche Punkte fehlten. Beispielsweise bekennen sich Union und SPD darin zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Strittig waren aber noch Beginn, Höhe und Ausnahmen. Die Union pocht auf Ausnahmeregelungen etwa für Erntehelfer und Zeitungsausträger.
Ferner geht es um Rentenverbesserungen und die Einführung einer Pkw-Maut für Ausländer. Merkel macht die Abgabe davon abhängig, dass sie mit dem Europarecht vereinbar ist und für deutsche Autofahrer keine Mehrbelastung entsteht. Auch der Kabinettszuschnitt und die Verteilung der Ministerposten werden zum Schluss geregelt. Die wichtigsten Beschlüsse werden Merkel und die Parteivorsitzenden von SPD und CSU, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer, möglicherweise unter sechs Augen fällen.
Auch die von der SPD gewünschten Verbesserungen bei der doppelten Staatsbürgerschaft sollen erst am Ende geklärt werden. Die SPD will die Abschaffung der Optionspflicht, wonach sich zum Beispiel in Deutschland geborene Türken bis zum 23. Geburtstag für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. Im ersten Entwurf für den Koalitionsvertrag taucht das Thema nicht auf. Gabriel hat den "Doppelpass" zur Bedingung für einen Koalitionsvertrag gemacht.
Ob die SPD bereits über die Besetzung der Posten entscheiden wird, ist offen. SPD-Unterhändler Ulrich Kelber sagte, der Ressortzuschnitt sei "ja etwas anderes als die Frage von Namen". Vom Tisch ist in den Verhandlungen offenbar die Forderung von CSU und SPD nach Einführung bundesweiter Volksentscheide.
dpa - Bild: Johannes Eisele (afp)