Einer Befragung des US-Informanten Edward Snowden durch deutsche Vertreter in Russland steht aus Sicht des Kreml nichts im Weg. "Er (Snowden) befindet sich auf russischem Territorium, hat vorläufiges Asyl erhalten und ist deshalb frei, sich mit irgendjemandem zu treffen. Wir können ihn daran nicht hindern", sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, der russischen Tageszeitung "Kommersant" (Samstag).
Snowden halte sich an die Bedingung Putins, dass er von Russland aus nichts tun dürfe, um den USA zu schaden, sagte Peskow. Die Enthüllungen über US-Spähaktionen gegen deutsche Politiker stammten aus Dokumenten, die der 30-Jährige bereits vor seiner Ankunft in Moskau Ende Juni Journalisten zur Auswertung übergeben habe. Snowdens Moskauer Anwalt Anatoli Kutscherena betonte erneut, sein Mandant könne nicht nach Deutschland reisen, ohne in Russland seinen Flüchtlingsstatus zu verlieren. "Wenn ihm dort Zuflucht gewährt würde, wäre dies eine andere Frage", sagte Kutscherena.
Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei fordern für den Informanten Asyl in Deutschland oder aber freies Geleit im Falle einer Aussage. Die amtierende Bundesregierung zeigt zwar Interesse an den Informationen des in Russland untergetauchten US-Bürgers - mit Blick auf komplizierte rechtliche Fragen zu einem Asyl Snowdens in Deutschland denkt sie jedoch eher an eine Vernehmung in Moskau.
Snowden könnte nach Ansicht des Grünen-Politikers Hans-Christian Ströbele in Deutschland viele offene Fragen klären. "Er kann Zusammenhänge schildern, die wir nicht wissen oder nicht wissen können", sagte Ströbele in den ARD-"Tagesthemen". Der Bundestagsabgeordnete hatte Snowden am Donnerstag überraschend in Moskau getroffen. Dabei erklärte der von seinem Heimatland USA gesuchte Enthüller seine grundsätzliche Bereitschaft zur Aussage in Deutschland, die er allerdings an Sicherheitsgarantien knüpfte.
Snowden: Auch Deutschland Ziel der Spähaktionen
Snowden hatte vor Monaten offengelegt, dass auch Deutschland Ziel der Spähaktionen von britischen und US-Geheimdiensten ist. Die Bundesregierung teilte in der Vorwoche mit, sie habe Informationen erhalten, nach denen das Mobiltelefon von Kanzlerin Angela Merkel möglicherweise durch US-Dienste überwacht werde. Einen dauerhaften Schutz für den Informanten in Deutschland fordert der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger. "Ich bin sehr dafür, dass Snowden bei uns Asyl bekommt und aussagen kann", sagte Riexinger der "Mitteldeutschen Zeitung". "Wenn der politische Wille da wäre, wäre das auch kein Problem."
Der CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer hält es für unwahrscheinlich, dass Snowden nach Deutschland kommen wird - da die USA einen Auslieferungsantrag gestellt haben. "Es gibt derzeit keinen Anlass, über einen Aufenthalt Snowdens hier in Deutschland zu entscheiden", sagte Grosse-Brömer der "Rhein-Neckar-Zeitung" (Samstag). Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Andreas Schockenhoff hält eine Befragung Snowdens durch deutsche Vertreter nur in Russland für möglich. "Er war in Moskau für Herrn Ströbele zu sprechen. Dann muss er auch für die deutschen Justizorgane zu sprechen sein", sagte Schockenhoff der Zeitung "Die Welt" (Samstag).
Nach einem Bericht der "Rheinischen Post" kommen die USA und Deutschland bei ihren Verhandlungen über ein Abkommen voran, das das gegenseitige Ausspionieren untersagen soll. "Bis Weihnachten soll das Anti-Spionage-Abkommen in seinen Grundzügen stehen", zitiert die Zeitung Regierungskreise nach Konsultationen deutscher Spitzenbeamter in Washington. Die US-Seite habe eingesehen, nach den Irritationen über die Abhörpraktiken nun bald etwas "liefern" zu müssen. Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, Caitlin Hayden, dementierte auf dpa-Anfrage den Bericht am Freitagabend (Ortszeit).
Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen sieht ein Einfallstor für die Spionage im Gebrauch nicht abhörsicherer Handy durch Regierungsmitglieder. "Wir haben immer wieder auf die Risiken einer ungeschützten Telekommunikation hingewiesen", sagte er dem Magazin "Focus". Den Vorwurf, als verantwortlicher Geheimdienst bei der Spionageabwehr versagt zu haben, wies der Verfassungsschutz-Chef zurück. Kommende Woche wollen Maaßen und BND-Chef Gerhard Schindler die US-Hauptstadt besuchen.
Auch Schweizer Abgeordnete wollen Snowden befragen
Auch Schweizer Abgeordnete wollen den Informanten Edward Snowden befragen. Sie erhoffen sich Auskünfte über US-Abhöraktionen in Genf, berichtete der Schweizer "Tages-Anzeiger" am Samstag. "Snowden war für die CIA in der amerikanischen UN-Mission in Genf aktiv", sagte der sozialdemokratische Abgeordnete Carlo Sommaruga der Zeitung. "Er weiß, was die US-Geheimdienste in der Schweiz tun und ob und wie der Schweizer Geheimdienst kollaboriert".
Auch Politiker der national-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) bekundeten Interesse an einer Befragung des Informanten.
Genf gilt seit langem als "Spionagemetropole". Es ist Standort der Vereinten Nationen, vieler weiterer internationaler Organisationen sowie zahlreicher Auslandsvertretungen und zudem eine Drehscheibe des weltweiten Rohstoffhandels. Die US-Mission unweit des Genfer UN-Sitzes soll laut Medienberichten über ähnlich umfangreiche Abhöreinrichtungen verfügen wie jene in Berlin.
BND an Entwicklung von Internetspionage-Technik beteiligt
Der britische Geheimdienst GCHQ hat nach einem Medienbericht bei der Entwicklung von Internet-Spionagetechnik eng mit dem BND und anderen europäischen Geheimdiensten kooperiert. "Die Geheimdienste von Deutschland, Frankreich, Spanien und Schweden haben in den vergangenen fünf Jahren Techniken zur massenhaften Überwachung der Internet- und Telefonkommunikation entwickelt", berichtet die britische Zeitung "Guardian" unter Berufung auf Dokumente des früheren Geheimdienst-Mitarbeiters Edward Snowden. Die Technik sei in enger Abstimmung mit dem britischen Geheimdienst entwickelt worden.
In dem Bericht wird allerdings nicht die Behauptung aufgestellt, die europäischen Partnergeheimdienste hätten ihre technischen Fähigkeiten zur Daten-Überwachung ebenso wie der GCHQ eingesetzt. Snowden hatte in den vergangenen Monaten offengelegt, dass der GCHQ unter dem Codenamen Tempora mehr als 200 Glasfaserkabel angezapft habe, um Zugriff auf den Internetverkehr zu erlangen.
In dem "Guardian"-Artikel wird aus einem GCHQ-Bericht von 2008 zitiert, der die technischen Möglichkeiten des deutschen BND hervorhebe. Während die Briten bis dahin nur Glasfaserkabel mit einer Kapazität von 10 Gbps (Gigabit pro Sekunde) hätten erfassen können, seien die Deutschen schon bei einem Volumen von 40 Gbps und 100 Gbps gewesen.
dpa/sh - Archivbild: The Guardian/afp