Das Debakel der FDP und die Niederlage der Grünen bei der Bundestagswahl haben zu ersten personellen Konsequenzen geführt. FDP-Chef Philipp Rösler trat am Montag zurück, der nordrhein-westfälische Parteichef Christian Lindner steht bereits in den Startlöchern. Auch die Grünen stehen vor einem personellen Neuanfang. Die Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir schlugen den Rücktritt des gesamten Bundesvorstands vor. Die Sondierungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für eine stabile neue Regierung gestalten sich trotz des Traumergebnisses bei der Wahl schwierig.
Merkel bestätigte am Montag, dass es erste Gespräche mit SPD-Chef Sigmar Gabriel über eine erneute große Koalition gegeben habe. Dieser habe aber darauf verwiesen, dass die SPD erst ihren Konvent an diesem Freitag abhalten wolle. Zudem ließ die CDU-Chefin erkennen, dass sie auch zu den Grünen Kontakt aufnehmen wolle.
Nicht automatisch auf große Koalition festlegen
Führende SPD-Politiker wollten sich nicht automatisch auf eine große Koalition festlegen. Es gebe auch eine schwarz-grüne Option, machte unter anderem SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles deutlich. Sie wollte im ARD-"Morgenmagazin" eine große Koalition zwar nicht ausschließen, sagte aber: "Erst einmal gibt es überhaupt keinen Automatismus einer großen Koalition." Parteivize Olaf Scholz sagte dem Sender n-tv: "Wenn es Gesprächsbedarf gibt, dann werden wir uns mit aller Ruhe und Zeit darüber Gedanken machen, was wir davon halten, und das kann man jetzt nicht vorhersagen."
Zunächst könnte es aber auch bei der SPD eine Debatte über Personalien geben, nachdem die Partei ihr Wahlziel, eine rot-grüne Regierung zu bilden, deutlich verfehlt hatte.
Merkel hatte die Bundestagswahl mit einem Ergebnis knapp unterhalb der absoluten Mandatsmehrheit gewonnen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis liegt Rot-Rot-Grün rechnerisch zwar vor der Union - mit acht Stimmen. Ein solches Bündnis wird von der SPD aber klar abgelehnt. Realistischste Option ist die Neuauflage von Schwarz-Rot. Möglich wäre auch ein schwarz-grünes Bündnis. Führende Grünen-Politiker äußerten sich dazu skeptisch. Zudem lehnt umgekehrt dem Vernehmen nach die CSU-Spitze eine Koalition mit den Grünen strikt ab.
CSU-Chef Horst Seehofer wollte sich zunächst auch nicht auf eine große Koalition mit der SPD festlegen. "Wir machen jetzt keine Koalitionsspekulationen", sagte er in München. "Nach Lage der Dinge ist eine große Koalition naheliegend - aber ob es dazu kommt, werden wir sehen. .... Jetzt warten wir mal, was bei der SPD geschieht."
Die Wirtschaft favorisiert indessen eine große Koalition unter Angela Merkel (CDU). Damit würde Deutschland als Euro-Retter weiterhin eine Hauptrolle spielen. Einzige Sorge von Ökonomen und Analysten: Dass CDU/CSU und SPD sehr lange brauchen, um sich nach vier Jahren Pause zu einer erneuten Zusammenarbeit zusammenzuraufen.
Özdemir sagte vor der Grünen-Vorstandssitzung am Morgen: "Ein "Weiter so" wird es sicherlich nicht geben." Er ergänzte: "Dazu gehört eine personelle und eine inhaltliche Neuaufstellung." Der Grünen-Europaabgeordnete Werner Schulz machte den Spitzenkandidaten Trittin in der "Bild"-Zeitung für das schlechte Abschneiden verantwortlich. "Trittin hat sich zulasten der Grünen profiliert, hat die Finanzpolitik im Wahlkampf in den Vordergrund geschoben, weil er unbedingt Finanzminister werden wollte", sagte Schulz.
Der langjährige Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, kündigte bereits seinen Rückzug von dem Posten an.
Rösler: Verantwortung übernehmen
Rösler sagte, er wolle mit seinem Rückzug von der Parteispitze auch die Verantwortung für den "bittersten Abend" nach einer Bundestagswahl übernehmen. Für den FDP-Bundesvorsitz kandidiert nun NRW-Landeschef Lindner. Er wolle in dieser schwierigen Lage Verantwortung übernehmen, "um die liberale Partei zu erneuern und bei der nächsten Bundestagswahl zurück ins Parlament zu führen", sagte er in Berlin.
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kam die CDU/CSU auf 41,5 Prozent (2009: 33,8) und legte damit um fast acht Punkte zu. Die SPD verbesserte sich ein wenig auf 25,7 Prozent (2009: 23,0). Die FDP stürzte innerhalb von vier Jahren von 14,6 Prozent auf desaströse 4,8 Prozent ab - und flog damit aus dem Bundestag. Die Grünen verloren leicht auf 8,4 Prozent (2009: 10,7), die Linke verschlechterte sich auf 8,6 Prozent (2009: 11,9). Die AfD kam aus dem Stand auf 4,7 Prozent.
Daraus ergeben sich für CDU/CSU im neuen Bundestag 311 Sitze (2009: 239), für die SPD 192 Mandate (146). Die Grünen bekommen 63 Mandate (68), die Linke 64 Sitze (76). Die bisherige Opposition liegt damit bei 319 Mandaten. Die Wahlbeteiligung legte leicht von 70,8 Prozent (2009) auf 71,5 Prozent zu.
Trotz der unklaren Mehrheitsverhältnisse nach der Landtagswahl in Hessen sieht sich die SPD dort auf dem Weg in eine Landesregierung. Gabriel sagte an die Adresse des hessischen SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel: "Du hast jetzt das Problem, das erfolgreiche Leute gelegentlich haben: Du musst jetzt gucken, wie Du daraus in Hessen eine anständige sozialdemokratische Landesregierung machst." Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis reicht es in Hessen weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün.
Patrick Schnieder aus Arzfeld weiter im Bundestag
Patrick Schnieder wird die rheinland-pfälzische Eifel auch in den kommenden vier Jahren im deutschen Bundestag vertreten. Der CDU-Direktkandidat aus Arzfeld erreichte fast 56 Prozent der Erststimmen. Auch bei den Zweitstimmen erreichte die CDU die absolute Mehrheit. So gut hatte die Partei zuletzt in den 1990er Jahren abgeschnitten. Die SPD konnte zulegen. Dagegen verzeichneten FDP, Grüne und Linke teils deutliche Verluste.
Bei der Bundestagswahl 2013 ist auch in der Region Aachen die CDU der große Sieger. Alle Direktmandante an die CDU. Sieger in Aachen ist Rudolf Henke. Die frühere SPD-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zieht über die Landesliste in den nächsten Deutschen Bundestag. Auch in der Region Trier ist die CDU klarer Sieger. Sie legte im Vergleich zu 2009 etwa 10 Prozent zu. Die FDP stürzte dagegen ins Bodenlose. Nur knapp 6 Prozent der Wähler stimmten im Durchschnitt für die Liberalen. Die SPD gewinnt in allen Landkreisen und der Stadt Trier dazu. Verlierer sind neben der FDP die Grünen und die Linke. Sie verlieren drei beziehungsweise vier Prozent.
CSP gratuliert deutscher Schwesterpartei
Die ostbelgische CSP hat ihrer deutschen Schwesterpartei CDU zum Wahlsieg gratuliert. Im Namen seiner Partei schickte CSP-Präsident Luc Frank der Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Gratulationsschreiben. Man freue sich, dass die deutsche Schwesterpartei weiterhin für die christdemokratischen Werte Solidarität, Freiheit und Eigenverantwortung sowie für ein starkes Europa eintreten kann.
Auch den CDU-Bundestagsabgeordneten Rudolf Henke aus Aachen und Patrick Schnieder aus Bitburg gratulierte die CSP zum Einzug in den Bundestag.
Hessen hat gewählt - aber was?
Nach der krachenden Niederlage der FDP bei der hessischen Landtagswahl zeichnen sich erste personelle Konsequenzen ab. Der Wirtschaftsminister und Landesvize Florian Rentsch forderte am Montag in Wiesbaden einen Rücktritt des gesamten Vorstands und einen Parteitag mit Neuwahlen im November.
Schwarz-Gelb wurde in Hessen abgewählt. Es kam keine neue klare Mehrheit zustande. Alle Parteien suchten am Montag nach Bündnispartnern. Allerdings wurden keine raschen Lösungen erwartet, die Regierungsbildung kann sich über Monate hinziehen.
Laut vorläufigem amtlichen Endergebnis wird die CDU mit 38,3 Prozent erneut stärkste Partei in Hessen. Die bisher mitregierende FDP rettete sich gegen alle anfänglichen Hochrechnungen mit 5,0 Prozent doch ins Parlament. Für eine Fortsetzung der Koalition reicht das aber nicht. Die SPD legt kräftig zu auf 30,7 Prozent. Die Grünen kommen auf 11,1 Prozent und die Linken auf 5,2. Die eurokritische Alternative für Deutschland holte aus dem Stand 4,0 Prozent. Für einen Machtwechsel braucht Rot-Grün die Linken - die sprichwörtlichen "hessischen Verhältnisse" sind zurück.
Die bislang mitregierenden Liberalen hatten am Sonntag nur mit knapper Not den Wiedereinzug in den Landtag geschafft. Die Führung der hessischen Liberalen wollte noch am Montagabend über das Wahldesaster beraten.
Der amtierende FDP-Vorsitzende Jörg-Uwe Hahn sagte in Berlin, er woll keine Debatte über einen kompletten Neuanfang. "Ich glaube, dass ich als Vorsitzender der fünftgrößten Partei im hessischen Landtag, die erst beim Nachzählen reingekommen ist, doch demütig jetzt sein sollte und nicht den anderen vier Kollegen irgendwelche Vorschläge unterbreite." Er bekräftigte, dass seine Partei nicht für eine Ampel-Koalition mit SPD und Grünen zur Verfügung stehe.
Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) bekräftigt den Anspruch zu regieren, rechnet aber mit schwierigen Gesprächen. "Wir werden schauen, mit wem wir die meisten Übereinstimmungen erzielen können. Das wird nicht einfach", sagte Bouffier in Berlin. Die Alternative sei klar: "Es gibt eine neue Regierung unter meiner Führung gemeinsam mit einem neuen Partner. Oder es gibt einen zweiten Wortbruch in Hessen", sagte Bouffier zu einem rechnerisch möglichen rot-rot-grünen Bündnis. Er schloss eine Regierung mit den Grünen nicht aus.
Auch der hessische SPD-Vorsitzende Schäfer-Gümbel erwartet eine langwierige Regierungsbildung: "Das ist ein schwieriges Ergebnis, das hat sich kein Mensch gewünscht. Es wird keine schnelle Lösungen geben", sagte er hr-iNFO. Durch Tolerierung oder Koalition mit der Linkspartei könnte er sich zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Zu Bouffiers Warnung, dies käme einem Wortbruch gleich, sagte er: "Belehrungen von Herrn Bouffier nehme ich nicht mal zur Kenntnis."
dpa/mitt/swr/tvf/wdr/mh/sp/rkr/vk - Bild: Odd Andersen (afp)