US-Außenminister John Kerry ist am Donnerstag zu Verhandlungen mit Russland über die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen in Genf eingetroffen. Die Gespräche mit Kerrys Moskauer Amtskollegen Sergej Lawrow im Genfer Hotel Intercontinental sollten zunächst bis Freitag dauern, hieß es in Delegationskreisen. Die Ankunft Lawrows in Genf wurde für den späten Donnerstagnachmittag erwartet. Beide Minister werden von Abrüstungsexperten unterstützt.
Moskau hatte der US-Regierung bereits am Mittwoch Vorschläge für die Chemiewaffen-Abrüstung Syriens übermittelt. Danach soll die Regierung von Präsident Baschar al-Assad zunächst der internationalen Chemiewaffenkonvention beitreten, wie die Moskauer Zeitung "Kommersant" unter Berufung auf diplomatische Kreise in Russland berichtete.
Diplomaten in Genf erklärten, Kerry und Lawrow würden zunächst ohne Beteiligung der Vereinten Nationen bilateral die jeweiligen Vorstellungen erörtern und nach einem Konsens suchen. Die Gespräche seien bis Freitag vorgesehen, könnten aber auch auf das Wochenende ausgedehnt werden. Russland hatte sich als Vetomacht im Weltsicherheitsrat bislang sämtlichen Sanktionen gegen das syrische Regime widersetzt.
Russland schlägt Vier-Stufen-Plan gegen Chemiewaffen vor
Russland will den USA bei dem Treffen der Außenminister beider Länder in Genf einen Vier-Stufen-Plan zur Vernichtung der Chemiewaffenarsenale in Syrien vorschlagen. Das berichtete die Moskauer Zeitung "Kommersant" unter Berufung auf diplomatische Kreise in Russland. Über das Vorgehen wollen der russische Außenminister Sergej Lawrow und sein US-Kollege John Kerry von diesem Donnerstag an in der Schweiz verhandeln.
Das Bürgerkriegsland Syrien soll sich nach Informationen der Zeitung in einem ersten Schritt der internationalen Chemiewaffenkonvention anschließen. Die zweite Stufe sei die Offenlegung der Lager und Produktionsstätten. In einem dritten Schritt sollen Inspekteure die Arsenale begutachten. Die vierte Etappe befasse sich mit der Vernichtung der Waffen. Der syrische Außenminister Walid al-Muallim habe der Initiative bei einem Treffen mit Lawrow in Moskau bereits zugestimmt, hieß es. Die syrischen Regimegegner lehnen einen solchen Kompromiss ab.
"Ich bin überzeugt, dass es eine Chance für Frieden in Syrien gibt", sagte Lawrow vor seinem Abflug nach Genf. Den Delegationen Russlands und der USA würden auch Chemiewaffenexperten angehören. Eine Beteiligung des Syrien-Sondergesandten der UN und der Arabischen Liga, Lakhdar Brahimi, dessen Büro sich in Genf befindet, an den Gesprächen würde er begrüßen, sagte Lawrow bei einem Besuch in der kasachischen Hauptstadt Astana. Er habe mit Kerry bereits vereinbart, bei dem Treffen auch über die geplante Syrien-Friedenskonferenz zu sprechen, teilte der Außenminister der Agentur Interfax zufolge mit.
Nach Informationen von "Kommersant" müssten sich Lawrow und Kerry bei der geplanten Zerstörung der Waffen verständigen, wie dies umgesetzt werden könne. Möglich sei eine Erneuerung des sogenannten Nunn-Lugar-Programms. Damit könnten Washington und Moskau bei der Vernichtung der Kampfstoffe zusammenarbeiten. Die Finanzierung der Arbeiten sei kein Problem, hieß es.
Keine schnelle diplomatische Lösung
Nach Einschätzung der US-Regierung wird es keine schnelle diplomatische Lösung für den Konflikt um die syrischen Chemiewaffen geben. "Ich vermute, das wird einige Zeit dauern", sagte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Jay Carney, am Mittwoch in Washington. Ein zeitliches Limit, bis wann das Regime von Machthaber Baschar al-Assad dem Vorschlag zur Beseitigung seiner Chemiewaffen nachkommen müsse, damit ein US-Militärschlag ausbleibt, nannte Carney nicht. Er bezeichnete es als "unverantwortlich", der sich jetzt bietenden diplomatischen Möglichkeit nicht nachzugehen.
Obama verurteilte in der Nacht zum Mittwoch in seiner Rede an die Nation zur Syrien-Krise den Einsatz von Chemiewaffen gegen die Bevölkerung als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Bei dem Giftgaseinsatz in Vororten von Damaskus am 21. August waren nach Angaben der US-Regierung mehr als 1400 Menschen ums Leben gekommen, darunter Hunderte Kinder.
Für die Frage, ob der Angriff tatsächlich auf Assads Konto ging, gibt es bislang keine unumstößlichen Beweise. Klarheit sollen die Ergebnisse der UN-Chemiewaffeninspekteure schaffen. Die Vereinten Nationen wollen weiterhin keinen Termin für die Veröffentlichung des Berichts der UN-Experten zum Giftgaseinsatz in Syrien nennen.
Eine Beilegung der Chemiewaffenkrise bedeutet allerdings längst nicht das Ende des blutigen Bürgerkriegs mit inzwischen mehr als 100.000 Toten. Er wird nach Erkenntnissen unabhängiger Experten mit immer grausameren Mitteln geführt. Regierungstruppen wie auch Rebellen begingen schwerste Verbrechen an Zivilisten, wie die vom UN-Menschenrechtsrat berufene Untersuchungskommission für Syrien am Mittwoch bei der Vorlage ihres jüngsten Lageberichts mitteilte.
US-Waffen erreichen syrische Rebellen
Der US-Geheimdienst CIA hat nach einem Bericht der "Washington Post" damit begonnen, Waffen an die syrischen Rebellen zu liefern. Wie das Blatt am Donnerstag online unter Berufung auf US-Beamte berichtete, sind die Lieferungen in den vergangenen zwei Wochen in das arabische Land gelangt. Das bedeute zusammen mit der separaten Lieferung von Fahrzeugen und anderen Ausrüstungsgegenständen eine wesentliche Ausweitung der US-Rolle im syrischen Bürgerkrieg, meinte das Blatt.
Die Waffenlieferungen beschränkten sich auf leichte Waffen und Munition. Es würden zudem Kommunikations- und medizinische Ausrüstung den Rebellen zugänglich gemacht. Die USA hofften, das alles zusammen die Fähigkeiten und Kapazitäten der Aufständischen in dem zweieinhalbjährigen Konflikt verbessert, hieß es in der "Washington Post".
Deutschland nahm am Mittwoch die ersten von 5000 syrischen Kriegsflüchtlingen auf. Eine Chartermaschine mit 107 Menschen, darunter 38 Kindern, traf aus der libanesischen Hauptstadt Beirut kommend in Hannover ein. Die Bundesregierung hatte die Aufnahme von 5000 Flüchtlingen im März zugesagt. Die jetzt Eingetroffenen sollten zunächst in das Durchgangslager Friedland bei Göttingen gebracht werden. Danach werden sie auf die Bundesländer verteilt.
dpa/sh - Bild: Larry Downing (afp)