Einen Tag nach der Ankündigung von Präsident Barack Obama vor einem Militärschlag gegen Syrien den Kongress konsultieren zu wollen, erklärt sein Außenminister John Kerry, das Regime habe das Nervengas Sarin eingesetzt. Dies hätten unabhängige Untersuchungen von Blut- und Haarproben ergeben, die nach dem Beschuss eines Vorortes von Damaskus von Helfern zur Verfügung gestellt wurden. Dies sagte Kerry am Sonntag dem US-Sender CNN. Er betonte, dass die Ergebnisse nicht aus der Untersuchung der UN-Chemiewaffeninspekteure stammten. Deren Proben sollen ab heute (Montag) nach UN-Angaben untersucht werden.
Die USA werfen dem Regime von Präsident Baschar al-Assad vor, am 21. August in der Nähe der syrischen Hauptstadt Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt und dabei mehr als 1400 Menschen getötet zu haben. Assad bestreitet dies.
Obama hatte am Samstag angekündigt, nur mit Zustimmung des Kongresses einen Militärschlag gegen das syrische Regime führen zu wollen. Eine Abstimmung dürfte nicht vor dem 9. September erfolgen. Zudem sind die Mehrheitsverhältnisse in Washington alles andere als klar, so dass Obama um jede Stimme kämpfen muss.
Syrische Opposition reagierte enttäuscht auf Verzögerung
Die syrische Opposition reagierte enttäuscht auf die Verzögerung. Das Regime habe so Zeit, seine Soldaten und Waffensysteme in Sicherheit zu bringen. Das Oppositionsbündnis mit Sitz in Istanbul befürwortet deshalb einen möglichst raschen Militärschlag gegen das Regime.
Assad reagierte mit demonstrativer Gelassenheit. "Syrien kann jede Aggression von außen abwehren, so wie es täglich die Aggression von innen und deren Hintermänner abwehrt", sagte er am Sonntag nach Angaben der Agentur Sana. Die Arabische Liga ist sich in der Syrien-Frage weiterhin nicht einig. Die Minister entsprachen auf einer Außenminister-Konferenz in Kairo nicht dem Wunsch des Vorsitzenden des Bündnisses der syrischen Opposition, Ahmed al-Dscharba, die Pläne der USA für eine militärisches Eingreifen zu unterstützen.
Erst am Donnerstag hatte der britische Premierminister David Cameron ein Votum im Unterhaus über eine Beteiligung an einer US-Militäroperation verloren - eine schwere Schlappe für den Regierungschef.
Auf die Unterstützung Frankreichs und seines Präsidenten François Hollande kann der US-Präsident dagegen weiter zählen. Am Samstagabend telefonierten beide erneut miteinander, wie die Regierung in Paris mitteilte. Dort ist am Mittwoch eine Sondersitzung der Nationalversammlung zum Syrien-Konflikt geplant. Deutschland wird sich weder unter Bundeskanzlerin Angela Merkel noch unter ihrem Herausforderer Peer Steinbrück an einem Angriff auf Syrien beteiligen, wie beide am Sonntag im TV-Duell betonten.
Bis zur Rede Obamas am Samstag war erwartet worden, dass die USA kurz nach der Abreise der letzten UN-Chemiewaffenexperten aus Damaskus einen ein- oder zweitägigen Militärschlag starten würden. Das UN-Team traf am Samstag in den Niederlanden ein. Ihr Untersuchungsbericht soll in spätestens drei Wochen vorliegen.
Das Nervengas Sarin zählt zu den giftigsten Kampfstoffen überhaupt. Die Phosphorverbindung wird durch Einatmen und über die Haut aufgenommen. Schon ein Milligramm Sarin kann in Minuten zu Atemlähmung und Herzstillstand führen. Das Institut für Strategische Studien in London geht davon aus, dass Syrien seit den 1970er Jahren große Mengen Chemiewaffen produziert hat, darunter auch Sarin. Sein Arsenal gilt als das größte der Region und das viertgrößte weltweit.
Russland fordert weiterhin Beweise für Giftgas-Vorwürfe
Russland hat die USA erneut mit Nachdruck aufgefordert, ihre Giftgas-Vorwürfe an das Regime in Syrien mit Beweisen zu belegen. "Washington hat uns Material übergeben, das aber nichts Konkretes dazu enthielt, wo die Proben von wem entnommen wurden", sagte Außenminister Sergej Lawrow am Montag in Moskau.
"Als wir nach Details fragten, sagten unsere amerikanischen Partner, dass diese geheim seien", meinte Lawrow der Agentur Interfax zufolge. "Das überzeugt uns nicht. So ist keine Zusammenarbeit möglich", sagte er. Russland ist ein enger Verbündeter Syriens.
Auch der einflussreiche Außenpolitiker Alexej Puschkow forderte konkrete Beweise von den USA. "Das von US-Außenminister John Kerry erwähnte Nervengift Sarin konnte auch von den Rebellen angewendet werden", teilte der Chef des Auswärtigen Duma-Ausschusses mit. Aus dem Hafen der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol lief unterdessen ein weiteres Kriegsschiff ins östliche Mittelmeer aus. Das Aufklärungsschiff soll sich vor der Küste zum Schutz der russischen Marinebasis in der syrischen Hafenstadt Tartus bereithalten, sagte ein Mitarbeiter der Kriegsmarine. Russland hatte bereits vergangene Woche Kriegsschiffe verlegt, aber betont, sich an möglichen Kampfhandlungen in Syrien nicht beteiligen zu wollen.
Syriens Vize-Außenminister: Militäreinsatz würde Al-Kaida helfen
Der stellvertretende syrische Außenminister Faisal Mekdad hat einen möglichen US-Militäreinsatz in seinem Land als "Unterstützung für Al-Kaida" bezeichnet. In einem Interview mit dem Sender BBC erklärte Mekdad zudem, für die Angriffe mit chemischen Waffen in Syrien seien nicht die Truppen von Präsident Baschar al-Assad zuständig, sondern vielmehr von den USA unterstützte Gruppen.
Ein Einsatz der USA in Syrien werde den "Hass auf die Amerikaner" verstärken und den gesamten Nahen Osten destabilisieren, sagte Mekdad in dem am Montag veröffentlichten Interview.
Der Einsatz von Giftgas bei bewaffneten Konflikten gilt nach allen internationalen Konventionen als Kriegsverbrechen.
Abbas: Palästinenser gegen US-Angriff in Syrien
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat sich gegen einen Angriff der USA in Syrien ausgesprochen. "Was in Syrien passiert, ist sehr gefährlich", sagte Abbas nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa vom Montag. "Wir sind aber gegen einen Angriff, weil wir nicht wollen, dass ein arabischer Staat von außen angegriffen wird", sagte der Präsident in der Nacht zum Montag bei einem Treffen seiner Fatah-Organisation in Ramallah.
Gleichzeitig verurteilte Mahmud Abbas den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien und forderte eine friedliche Lösung der Krise. Er warnte, ein Militärschlag könnte Syrien in vier ethnische Regionen aufspalten.
Ölpreise fallen
Die Ölpreise sind am Montag mit der Aussicht auf die Verzögerung eines Militäreinsatzes der USA gegen Syrien weiter gefallen. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im Oktober kostete am Morgen 112,87 US-Dollar. Das waren 1,14 Dollar weniger als am Freitag. Der Preis für ein Fass der US-Sorte WTI fiel um 1,68 Dollar auf 105,97 Dollar.
Am Ölmarkt rechnen die Anleger vorerst nicht mehr mit einem schnellen Militäreinsatz gegen Syrien.
dpa/sh - Archivbild: Saul Loeb (afp)