Nach einem Tag Zwangspause hat das UN-Expertenteam in Syrien am Mittwoch seine Suche nach Spuren des mutmaßlichen Giftgas-Angriffs fortgesetzt. Die Chemiewaffen-Experten sollen Beweise liefern, ob das Regime von Machthaber Baschar al-Assad in der Nähe von Damaskus Chemiewaffen eingesetzt hat. Unabhängig davon laufen die Vorbereitungen für einen internationalen Militärschlag unter Führung der USA. Auch die Bundesregierung geht davon aus, dass ein solcher Angriff kaum noch zu vermeiden ist.
Nach Informationen des Nachrichtensenders Al-Arabija erreichte das UN-Team am Mittwoch das Dorf Al-Mleiha in der Nähe von Damaskus. In der dortigen Umgebung sollen vor einer Woche Hunderte Menschen mit Giftgas getötet worden sein. Unklar ist, wie lange das Team noch vor Ort bleiben soll. Vermutet wird, dass ein Militärschlag erst beginnt, wenn die UN-Experten Syrien wieder verlassen haben.
Assad-Truppen Schuld an dem Angriff
Die USA und andere westliche Staaten zeigen sich inzwischen fest davon überzeugt, dass die Assad-Truppen Schuld an dem Angriff tragen. US-Vizepräsident Joe Biden sagte, es gebe keinen Zweifel daran, dass die Führung in Damaskus für den "ruchlosen" Gebrauch chemischer Waffen verantwortlich sei. Wegen der angespannten Sicherheitslage hatten die UN-Experten am Dienstag ihre Arbeit unterbrechen müssen.
Nach amerikanischen Medienberichten steht der Militärschlag gegen Syrien möglicherweise kurz bevor. Der Sender NBC berichtete, die Raketenangriffe könnten bereits an diesem Donnerstag beginnen. Die Planungen laufen darauf hinaus, dass eine solche Aktion nur wenige Tagen dauern wird. Völkerrechtlich ist ein Einsatz ohne Mandat der Vereinten Nationen umstritten. Die Veto-Mächte Russland und China lehnen ihn ab. Die Entscheidung liegt nun letztlich bei US-Präsident Barack Obama.
Die US-Regierung ist sich nach Informationen des Fernsehsenders CBS sicher, dass in Syrien nur das Assad-Regime über Chemiewaffen verfügt und diese in der Vergangenheit auch schon mehrfach eingesetzt hat. Grundlage dafür seien abgehörte Nachrichten aus Syrien und die Analyse von Hautproben von Opfern.
Veröffentlichung der Geheimdienstinformationen
Der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, kündigte noch für diese Woche eine Veröffentlichung der Geheimdienstinformationen an. Carney bekräftigte, dass Obama mit Ausnahme des Einsatzes von Bodentruppen alle Optionen in Betracht ziehe. Ziel sei aber nicht, einen Regimewechsel in Syrien herbeizuführen. "Die Lösung dieses Konfliktes muss durch politische Verhandlungen und Ergebnisse erfolgen."
Bei einem Militärschlag könnten die USA auf die Unterstützung von Staaten wie Frankreich, Großbritannien und der Türkei bauen. Das Parlament in London trifft sich wegen der Krise an diesem Donnerstag zu einer Sondersitzung. US-Präsident Barack Obama und David Cameron haben am Dienstag am Telefon über die Lage in Syrien beraten. Beide Staatschefs hätten über mögliche Reaktionen auf den “wahllosen” Einsatz von Chemiewaffen in Syrien gesprochen, hieß es in einer Mitteilung des Präsidialamtes. In den kommenden Tagen wollten sie enge Rücksprache halten.
Auf das Kampfgeschehen im Bürgerkrieg haben die westlichen Vorbereitungen für einen Militärschlag bislang keine Auswirkungen. Auch der Bezirk Al-Ghuta Al-Scharkija wurde von den Regierungstruppen in der Nacht zum Mittwoch wieder bombardiert. Das meldete die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter. Die oppositionelle Muslimbruderschaft berichtete, die Rebellen hätten am Vortag 49 regierungstreue Soldaten getötet.
Das US-Militär habe alles vorbereitet, um entsprechend reagieren zu können, sollte sich Obama dafür entscheiden, sagte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel dem britischen Sender BBC. Das Assad-Regime kündigte an, es werde sich verteidigen. "Wir sind kein Häppchen, das man so einfach verspeisen kann. Wir werden die anderen überraschen", drohte Außenminister Walid al-Muallim.
Angriffe in ihrem Umfang begrenzt
NBC berichtete weiter, die Angriffe würden sich über drei Tage erstrecken und seien in ihrem Umfang begrenzt. Das hätten namentlich nicht genannte ranghohe Regierungsbeamte in Washington mitgeteilt. Nach Informationen der "Washington Post" würde das US-Militär Marschflugkörper von Kriegsschiffen abfeuern, die jetzt schon im Mittelmeer kreuzen, oder Langstreckenbomber einsetzen. Die USA können offenbar auch auf die Hilfe von Staaten wie Frankreich und der Türkei bauen.
Auch die Arabische Liga gab dem Regime in Damaskus die Schuld an den Attacken, der Rat der Liga verurteilte "dieses abscheuliche Verbrechen". Das UN-Team aus Chemiewaffen-Experten, das die Vorwürfe in der Nähe von Damaskus untersuchen soll, musste seine Arbeit wegen der angespannten Sicherheitslage unterbrechen.
In Israel berief Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sein Sicherheitskabinett zu einer Dringlichkeitssitzung ein. Befürchtet wird dort eine Ausweitung des Konflikts. Der iranische Parlamentspräsident Ali Laridschani wurde von der Nachrichtenagentur Isna mit den Worten zitiert: "Wir warnen den Westen: Im Falle eines Krieges in Syrien sollten sie sich auch um ihr illegitimes Kind (Israel) in der Region große Sorgen machen." Syrien ist Irans engster Verbündeter im Kampf gegen den "Erzfeind" Israel.
Syriens Schutzmacht Russland, die ein gemeinsames Vorgehen der Staatengemeinschaft im UN-Sicherheitsrat immer wieder blockiert hatte, warnte mit scharfen Worten vor einem Militärschlag. Auch nach Ansicht des Irans würde ein Angriff gegen Syrien ein Chaos im gesamten Nahen Osten auslösen.
Bei einem Treffen in Jordanien verständigten sich führende Militärs aus zehn westlichen und arabischen Staaten darauf, dass ein möglicher Angriff auf Syrien nur begrenzte Ziele verfolgen sollte.
Syrien lässt Finanzmärkte wackeln
Syrien hält rund um den Globus die Finanzmärkte in Atem. Von New York über Tokio bis Europa reagieren die Börsen mit weiteren Kursrückgängen. Am stärksten setzt die Syrien-Krise die ohnehin angeschlagenen Märkte in Asien unter Druck - allen voran in Indien. Zugleich treiben die Nachrichten über einen möglicherweise unmittelbar bevorstehenden internationalen Militärschlag in der Krisenregion Nahost die Ölpreise in die Höhe.
In Deutschland sackte der Leitindex Dax am Mittwoch erstmals seit Mitte Juli wieder unter die Marke von 8200 Punkten. Er fiel bis zum Mittag um etwas mehr als ein Prozent - nach einem Rückgang von 2,3 Prozent bereits am Dienstag. Der Eurostoxx 50 stand etwa ein halbes Prozent im Minus. Im Gegenzug wurden sichere Anlageformen gesucht, was die Kurse deutscher Staatsanleihen zulegen ließ.
Asien am stärksten betroffen
Der eskalierende Konflikt ist aber nicht der einzige Faktor für die Nervosität an den Märkten - insbesondere in Südostasien. Bereits seit Monaten leiden die meisten Schwellenländer unter einem massiven Kapitalabzug.
Grund ist der näherrückende Kurswechsel in der amerikanischen Geldpolitik. Die US-Notenbank Fed will ihre hochexpansive Geldpolitik noch in diesem Jahr etwas zurücknehmen. Die drohende militärische Intervention westlicher Länder in Syrien verschärft die Lage, weil sie die Unsicherheit der Investoren erhöht.
Angesichts dieser Entwicklung hatte die Börse in Tokio am Mittwoch abermals deutlich eingebüßt - mit einem Minus von 1,5 Prozent beim Leitindex Nikkei. Weitere deutliche Verluste erlitten auch die anderen asiatischen Börsen. Am stärksten traf es abermals die Philippinen. Kräftige Einbußen gab es zudem an den Börsen Indiens, Thailands, Indonesiens und Malaysias sowie in China.
Am weltweit größten Aktienmarkt in New York hatte das Thema Syrien tags zuvor ebenfalls Verluste ausgelöst. Der Leitindex Dow Jones schloss am Dienstag 1,1 Prozent schwächer auf dem niedrigsten Stand seit zwei Monaten.
Ölpreise steigen weiter
Derweil steigen die Ölpreise weiter. Der Preis für ein Barrel (159 Liter) der US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) erreichte am Morgen bei 112,24 Dollar den höchsten Stand seit Mai 2011. Bereits am Vortag hatte der Preis stark zugelegt.
Ein ähnliches Bild zeigte sich auch bei dem für europäische Verbraucher wichtigen Preis für das Nordsee-Öl Brent. Hier erreichte die Notierung für ein Fass am frühen Morgen in der Spitze 117,34 Dollar. Das ist der höchste Stand seit Ende Februar. «Die Sorge über den Syrien-Konflikt ist derzeit das alles beherrschende Thema bei den Anlegern am Ölmarkt», beschreibt US-Rohstoffexperte Phil Flynn von der Price Futures Group die Lage.
In Indien erlitt die Landeswährung Rupie den größten Tagesverlust seit etwa zwanzig Jahren. Mit 68,75 Rupien je Dollar fiel sie auf ein Rekordtief. Im laufenden Jahr hat die indische Währung mehr als zwanzig Prozent ihres Werts verloren. Auch andere Währungen asiatischer Schwellenländer mussten erneut starke Verluste hinnehmen. Neben der Rupie gaben der philippinische Pesos, der thailändische Bath und der malaysische Ringgit spürbar nach. Im Nachbarland Syriens, der Türkei, fiel die Landeswährung Lira auf ein Rekordtief zu Dollar und Euro.
Flüchtlinge vor allem aus Syrien in Sizilien
Der Flüchtlingsstrom vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien nach Italien reißt nicht ab. Begleitet von der Küstenwache kamen am Mittwoch 191 syrische Migranten in der Hafenstadt Syrakus an der Ostküste Siziliens an. Ihr Boot war zuvor in Seenot geraten, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete. Unter den Flüchtlingen ist den Angaben zufolge ein während der Fahrt über das Mittelmeer geborenes Baby.
Vor Syrakus warteten gleichzeitig etwa 150 Migranten auf einem nicht mehr fahrtüchtigen Boot auf Hilfe. Zwei Schiffe der italienischen Küstenwache kümmerten sich um sie. Das Boot war von Fischern bemerkt worden, die dann Alarm geschlagen hatten.
dpa/est - Bild: Brendan Smialowski (afp)