Der arabische Frühling hat sich in einen Albtraum verwandelt. In Syrien hat die Barbarei mit einem Giftgas-Angriff einen grausamen Höhepunkt erreicht. Und auch Ägypten ist noch im Schockzustand, nachdem in dem Land am Nil in der vergangenen Woche bei Unruhen bis zu 1.000 Menschen ums Leben gekommen waren.
Es ist reiner Zufall, dass der belgische Außenminister Didier Reynders nach diesen tragischen Ereignissen als erster westlicher Spitzenpolitiker Ägypten besucht. Und, entgegen der im Vorfeld gehörten Unkenrufe: Ein reines Schaulaufen war die Visite nicht.
Didier Reynders wird nachgesagt, mitunter einen Hang zur Selbstinszenierung zu haben. Und im Vorfeld seines Besuchs in Kairo hat sich die MR-Politiker einiges an Kritik anhören müssen. Da fielen Worte wie "Schaulaufen" oder "Wichtigtuerei". Dabei hat hier zunächst König Zufall mitgespielt. Der Besuch am Nil war schon länger geplant. Dass Didier Reynders in Kairo quasi als EU-Sonderbotschafter aufgelaufen ist, war nicht beabsichtigt.
Überbringer der EU-Botschaft an Ägypten
Tatsächlich wurde der belgische Außenminister faktisch zum Überbringer der Botschaft, seine 27 EU-Kollegen einen Tag zuvor ausgebrütet hatten; und die war nach Ansicht von Reynders noch sehr moderat. Im Kern lautet diese Botschaft: keine Waffenlieferungen mehr an das ägyptische Militär, wobei: Die Zusammenarbeit mit dem Land will man nicht vollends einstellen. Hilfsgelder sollen weiter fließen.
Es zeigte sich schnell, dass es auf ägyptischer Seite erheblichen Gesprächsbedarf gab. Kairo fühlt sich ungerecht behandelt. Nicht nur in Europa, in der gesamten westlichen Welt kursiere ein verzerrtes Bild der Realität in Ägypten, sagte der ägyptische Außenminister Nabil Fahmy. Jetzt, nach dem Gespräch mit seinem belgischen Kollegen, glaube er aber, dass dieses Missverständnis ausgeräumt sei, dass die Welt jetzt besser verstehe, was in seinem Land passiere.
Der ägyptischen Seite war es ein Anliegen, klar zu machen, dass man nur auf Gewalt REagiert habe. Die Demonstranten, gegen die man vorgegangen ist, seien längst nicht immer friedlich gewesen, sondern hätten teilweise gar automatische Waffen getragen. Insgesamt sei das Land vor einer Welle des Terrors überzogen worden. Den Sicherheitskräften blieb also keine andere Wahl, als durchzugreifen.
"Verhältnismäßigkeit"
Naja, sagt Didier Reynders, er habe dann doch seinem ägyptischen Amtskollegen gegenüber deutlich machen müssen, dass man das Wort "verhältnismäßig" in Europa anders verstehe als in Ägypten. Er könne aber nur feststellen, dass die ägyptischen Behörden selbst eine Untersuchung der Vorfälle angeordnet haben. Das zeige doch, dass man in Kairo zumindest indirekt einräume, einen Schritt zu weit gegangen zu sein.
Ein Schritt zu weit, das ist noch diplomatisch ausgedrückt. Eine Bilanz von 1.000 Toten seit Mitte vergangener Woche, als die Protestlager der Muslimbrüder gewaltsam geräumt wurden, das ist jetzt auch keine Fußnote. Naja, immerhin habe die ägyptische Regierung an die Sicherheitskräfte die Order ausgegeben, ab jetzt gemäßigt vorzugehen.
Unter Partnern müsse man sich auch schon mal die Meinung sagen dürfen, sagt Reynders. Man muss dafür aber nicht gleich alle Brücken abschlagen. Die EU - und er habe jetzt damit angefangen - müsse den politischen Prozess in Ägypten unterstützen, dabei helfend zur Seite stehen.
Zugleich darf Europa nicht vergessen, die ägyptische Wirtschaft zu unterstützen. Es gelte auch, den vielen jungen Menschen in dem Land eine Perspektive zu geben. Nicht vergessen: Belgien ist innerhalb der EU der viertgrößte Handelspartner von Ägypten.
Problemfall Mubarak
Doch gibt es da noch ein neues Ereignis, das für gemischte Gefühle sorgt, nicht nur in Europa, sondern wohl erst recht in Ägypten selbst, mit Namen: die Freilassung des ehemaligen ägyptischen Machthabers Hosni Mubarak. "Es ist, als habe die Revolution nie stattgefunden, als habe das Militär die Zeit zurückgedreht", sagen Oppositionelle in Ägypten.
Naja, so reagierte Didier Reynders in der RTBF: Er könne nur hoffen, dass es sich da einzig und allein um eine Entscheidung der Justiz handele - zwischen den Zeilen: dass hier nicht die Armee die Strippen gezogen hat. Positiv sei allerdings, dass Mubarak weiter unter Hausarrest stehe in einem Militärkrankenhaus.
Syrien
Doch hat natürlich die syrische Schockwelle nach dem mutmaßlichen Giftgas-Angriff in einem Vorort von Damaskus auch Ägypten erreicht. Er sei schockiert, sagte Didier Reynders am Rande seiner Kairoer Gespräche. Es sei deutlich, dass da Giftgas zum Einsatz gekommen sei. Man müsse den Vorfall dennoch erst einmal von unabhängiger Seite prüfen lassen. Erst dann könne man über Konsequenzen nachdenken. Ohnehin liege es dann an den Vereinten Nationen, um eventuell einen Waffenstillstand durchzusetzen. Zum jetzigen Zeitpunkt über eine mögliche militärische Intervention zu spekulieren, sei in jedem Fall keine gute Idee, sagte Reynders am Morgen in der VRT.
dpa/jp - Bild: Virginie Nguyen Hoang (afp)