Ungebrochen trotz umstrittener Haft zeigt sich Nadeschda Tolokonnikowa von der kremlkritischen Punkband Pussy Riot. Geradezu fröhlich blitzen die Augen der jungen Frau, als sie aus einem Gitterkäfig heraus mit scharfen Worten ihre Überzeugung betont. "Die Zeit in Haft hat nicht dazu geführt, dass ich meine Einstellung ändere", sagt die 23-Jährige im Gericht der russischen Stadt Saransk.
Eine vorzeitige Haftentlassung der scharfen Gegnerin von Kremlchef Wladimir Putin aber lehnen die Richter bei Anhörung von Tolokonnikowa Ende Juli ab. Damit sitzt sie - wie ihre Mitstreiterin Maria Aljochina (25) - auch ein Jahr nach ihrer weltweit kritisierten Verurteilung am 17. August 2012 weiter hinter Gittern. "Sie sind keine politischen Häftlinge, sondern einfach nur Rowdys", formulierte es eine Richterin einmal.
Ihr Ringen um Freiheit aufgeben will Tolokonnikowa jedoch nicht. Bis vor das Oberste Gericht in Moskau und notfalls den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte will die Mutter einer kleinen Tochter ziehen, um das Urteil zu zwei Jahren Straflager wegen Rowdytums aus religiösem Hass - bis zum 3. März 2014 - anzufechten.
Der Kampf der "Engel gegen Putin" hat die Frauen berühmt gemacht, Pussy Riot ist mittlerweile ein gewinnversprechender Markenname. Aushängeschild ist die hübsche Tolokonnikowa, ihr T-Shirt mit dem legendären Schlachtruf "No pasarán" ("Sie werden nicht durchkommen"), der ursprünglich aus dem Spanischen Bürgerkrieg stammt, weltbekannt.
Und auch weiterhin setzt Tolokonnikowa offenbar auf Risiko. Aus der Haft heraus soll sie am neuen Lied von Pussy Riot mitgearbeitet haben, das untergetauchte Mitglieder als Video ins Internet stellten. In "Kak w krasnoi tjurmje" (Wie im roten Gefängnis) werfen die Frauen Putin und den staatlichen Rohstoffkonzernen vor, Milliarden aus dem wichtigen Öl- und Gasgeschäft zu unterschlagen.
Wieder bekommt auch die einflussreiche orthodoxe Kirche ihr Fett ab: Die enge Verbindung zwischen Kreml und Klerus war bereits der Grund für das "Punkgebet" am 21. Februar 2012 in der wichtigsten Moskauer Kathedrale. Auch wegen der Empörung von Patriarch Kirill, so meinen Kommentatoren, greift die Justiz rücksichtslos gegen Aljochina, Tolokonnikowa und Bandkollegin Jekaterina Samuzewitsch (31) durch. Samuzewitsch wird später auf Bewährung freigelassen.
Die Kirche, eine der wichtigsten Machtstützen Putins, ist nach einhelliger Meinung ein Gewinner des Justizdramas um Pussy Riot. Ihre Stellung ist gestärkt, auch weil das Parlament in Moskau eilig ein Gesetz durchgewunken hat, das Blasphemie als Straftat einstuft. Nun drohen Gotteslästerern drei Jahre Haft. Kritiker sehen die Grenzen zwischen Kirche und Staat verschwimmen.
Dass mit Tolokonnikowa und Aljochina, die einen kleinen Sohn hat, zwei Mütter in Lagerhaft sitzen, empört Menschenrechtler besonders. Die Organisation Amnesty International erkennt die Frauen als politische Gefangene an, mehr als 100 Musikstars forderten in einem Brief an Putin die Freilassung.
Als "Feind Nummer Eins" des Kreml hat zwar der charismatische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny mittlerweile Pussy Riot abgelöst. Gegen ihn geht die Justiz nun mit aller Härte vor. Der Fall Pussy Riot aber habe ein Schlaglicht auf das russische Justizsystem geworfen, kommentiert die kremlkritische Zeitschrift "The New Times". Angeklagten würden ihre Rechte verweigert, und Richter führten sich wie kleine Könige auf. Willkür regiere. Einer der vielen Einträge in Tolokonnikowas Haftakte kritisiert das "Fehlen einer aktiven Lebenseinstellung". Sie hatte abgelehnt, an einem Schönheitswettbewerb teilzunehmen.
"Ich denke, dass letztlich die Frauen gewonnen haben", meint der Politologe Dmitri Oreschkin. "Sie haben keine Reue gezeigt und dadurch bewiesen, dass sie an ihre Ideale glauben. Sie sind stärker als die Staatsmaschinerie, die sie verfolgt."
Von Benedikt von Imhoff, dpa - Bild: Natalia Kolesnikova (afp)