Nach dem blutigen Mittwoch mit mehr als 520 Toten rüsten sich die Sicherheitskräfte in Ägypten gegen neue Massenproteste der Muslimbruderschaft. Die Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi riefen zu Demonstrationen an diesem Freitag auf.
Europa und die USA appellierten, weiteres Blutvergießen zu verhindern. Der in Kairo verhängte Notstand müsse so schnell wie möglich beendet werden, sagte US-Außenminister John Kerry. “Ägypter innerhalb und außerhalb der Regierung müssen einen Schritt zurücktreten, damit sich die Situation beruhigen kann und es zu keinen weiteren Toten kommt.”
Die Islamisten wollen die Proteste gegen die Absetzung Mursis durch das Militär nach den Freitagsgebeten fortsetzen. Das ägyptische Nachrichtenportal youm7 berichtete, Sicherheitskräfte befürchteten eine neue Welle der Gewalt.
Nach der gewaltsamen Räumung von zwei großen Protestlagern der Mursi-Anhänger in Kairo war es am Mittwoch in Ägypten zu den blutigen Unruhen gekommen. Die Regierung gab die Zahl der Toten am frühen Nachmittag mit 522 an. Zuvor waren praktisch stündlich neue Opferzahlen veröffentlicht worden. Mehr als 3.500 Menschen seien verletzt worden, verlautete aus dem Gesundheitsministerium.
Die Führung in Kairo verteidigte trotz massiver internationaler Kritik das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte bei der Räumung. Das Nachrichtenportal Ahram Online berichtet, allein bei der Räumung der zwei Protestcamps in Kairo seien 289 Menschen ums Leben gekommen. Das staatliche Fernsehen meldete, 84 Islamisten seien dem Militärstaatsanwalt übergeben worden.
Unruhen erreichen Badeorte
Die ägyptischen Ferienorte an der Küste des Roten Meeres blieben von Gewalt zwar bislang verschont. Im Badeort Hurghada gab es allerdings in der Nacht zum Donnerstag einen Todesfall. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen starb ein Anhänger der Muslimbruderschaft bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei.
Deutschlands größter Reiseveranstalter Tui bietet Kunden aufgrund der Unruhen in Ägypten an, alle gebuchten Reisen in das Land kostenlos umzubuchen. Die Nachfrage nach Reisen in das umkämpfte Land habe ohnehin stark abgenommen, sagte eine Sprecherin in Hannover.
Das Außenministerium in Brüssel rät derzeit dringend von Reisen in große Teile Ägyptens ab. Das gilt auch für die Touristenzentren in Oberägypten (Luxor und Assuan) sowie Nilkreuzfahrten. Nicht betroffen davon sind die Urlaubsregionen am Roten Meer und am Golf von Akaba.
Die Angriffe von Extremisten auf Polizeiwachen und christliche Kirchen gingen am Donnerstag weiter. Aus Sicherheitskreisen hieß es, in Abanub in der Provinz Assiut sei am Morgen eine koptische Kirche niedergebrannt worden. Der Feuerwehr sei es nicht gelungen, das Gotteshaus zu retten. Nach Angaben des Blattes «Watani» attackierten die Islamisten im Verlauf der Unruhen 35 Kirchen oder andere Einrichtungen der Kopten.
Die Muslimbrüder übernahmen nicht die Verantwortung für die Attacken gegen Kirchen und Polizeistationen durch Sympathisanten. Ihr Sprecher Gehad al-Haddad erklärte über den Kurznachrichtendienst Twitter: «Wir werden immer gewaltfrei und friedlich sein. Wir werden so lange Druck machen, bis wir diesen Militärputsch zu Fall bringen.» Mursi war am 3. Juli durch das Militär gestürzt worden und befindet sich an einem geheimen Ort in Untersuchungshaft.
Ausgangssperre in Kairo
Die Straßen von Kairo waren am Donnerstag nach dem Ende der Ausgangssperre etwas leerer als sonst. Etliche Menschen blieben aus Furcht vor Gewalt im Haus. Die Führung hatte am Mittwoch den Notstand ausgerufen und über Kairo und andere Landesteile eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.
Nach Angaben staatlicher Medien war nach Mitternacht in den meisten Landesteilen langsam Ruhe eingekehrt. Das Fernsehen berichtete allerdings von zwei Polizisten, die vor einer Polizeiwache in Al-Arisch auf dem Sinai getötet worden seien. In Alexandria blockierten Mursi-Anhänger mehrere Straßen und zündeten Straßenbahnwaggons an, wie es hieß.
US-Außenminister John Kerry mahnte in Washington: «Dies ist ein entscheidender Moment für alle Ägypter.» In den «kommenden Stunden, in den kommenden Tagen» werde sich das Schicksal des Landes entscheiden. Eine demokratische Lösung sei immer noch möglich. Die USA und die Europäische Union verurteilten die Gewalt scharf.
"Der Westen muss was tun"
Mehrere europäische Staaten haben inzwischen die Botschafter Ägyptens einbestellt. In Paris, London, Berlin und Rom riefen die Regierungsvertreter die diplomatischen Vertreter zu sich. Belgien schloss am Mittwoch seine Botschaft in Kairo.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan forderte eine Sitzung des Weltsicherheitsrates. „Wenn der Westen nun keine entschiedenen Schritte unternimmt, wird die Demokratie weltweit in Frage gestellt“, zitierte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu den islamisch-konservativen Politiker. Wer schweige und gleichgültig bleibe, mache sich mitschuldig, sagte Erdogan.
Frankreichs Präsident François Hollande erklärte, es müsse alles getan werden, „um einen Bürgerkrieg“ zu vermeiden. Auch er drängt - wie zuvor die USA - darauf, so bald wie möglich Neuwahlen abzuhalten.
dpa/afp/mh/jp - Bild: Gianluigi Guercia (afp)